Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.seyn/ u. welche die Vornehm. drunter. (cupiditas) sey der eintzige Haupt-Affect, dahinalle andere Affecten gebracht werden können? Es ist wohl solches sehr paradox, aber gleichwohl dünckt mich solte es wohl angehen können. Denn ich kan nicht alleine die general-Beschreibung der Gemüths-Neigungen e) gantz und gar von dem Verlangen sagen/ sondern ich kan auch von allen Affecten sagen/ daß sie ein Verlan- gen seyn. Von denen vieren/ die wir in vor- hergehenden Hauptstück f) Exempels weise an- geführet/ ist es ausgemacht. Liebe ist ein Ver- langen des geliebten Dinges habhafft zu werden/ oder solches zu behalten. Haß ist ein Verlangen das gehaßte Ding von sich abzuhalten/ oder dasselbe loß zu werden. Furcht ist ein Ver- langen dem bösen zu entfliehen. Hoffnung ist ein Verlangen das gute zu erlangen. Von de- nen übrigen wird es in folgenden Hauptstück mehrere Gelegenheit geben/ solches darzuthun. Aus diesen Ursachen haben wir das Verlangen so wohl in der Beschreibung der vernünfftigen g) als unvernünfftigen Liebe h) als beyden Ge- müths-Neigungen etwas gemeines (conceptum genericum) gesetzet. 5. Dieweil man nun so wohl gegen das dem- e) cap. praeced. n. ult. f) n. 2. g) part. I. c. 4. n. 7. h) supra cap. 1. n. 38.
ſeyn/ u. welche die Vornehm. drunter. (cupiditas) ſey der eintzige Haupt-Affect, dahinalle andere Affecten gebracht werden koͤnnen? Es iſt wohl ſolches ſehr paradox, aber gleichwohl duͤnckt mich ſolte es wohl angehen koͤnnen. Denn ich kan nicht alleine die general-Beſchreibung der Gemuͤths-Neigungen e) gantz und gar von dem Verlangen ſagen/ ſondern ich kan auch von allen Affecten ſagen/ daß ſie ein Verlan- gen ſeyn. Von denen vieren/ die wir in vor- hergehenden Hauptſtuͤck f) Exempels weiſe an- gefuͤhret/ iſt es ausgemacht. Liebe iſt ein Ver- langen des geliebten Dinges habhafft zu werden/ oder ſolches zu behalten. Haß iſt ein Verlangen das gehaßte Ding von ſich abzuhalten/ oder daſſelbe loß zu werden. Furcht iſt ein Ver- langen dem boͤſen zu entfliehen. Hoffnung iſt ein Verlangen das gute zu erlangen. Von de- nen uͤbrigen wird es in folgenden Hauptſtuͤck mehrere Gelegenheit geben/ ſolches darzuthun. Aus dieſen Urſachen haben wir das Verlangen ſo wohl in der Beſchreibung der vernuͤnfftigen g) als unvernuͤnfftigen Liebe h) als beyden Ge- muͤths-Neigungen etwas gemeines (conceptum genericum) geſetzet. 5. Dieweil man nun ſo wohl gegen das dem- e) cap. præced. n. ult. f) n. 2. g) part. I. c. 4. n. 7. h) ſuprà cap. 1. n. 38.
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ſeyn/ u. welche die Vornehm. drunter.
(cupiditas) ſey der eintzige Haupt-Affect, dahin
alle andere Affecten gebracht werden koͤnnen?
Es iſt wohl ſolches ſehr paradox, aber gleichwohl
duͤnckt mich ſolte es wohl angehen koͤnnen. Denn
ich kan nicht alleine die general-Beſchreibung
der Gemuͤths-Neigungen e) gantz und gar
von dem Verlangen ſagen/ ſondern ich kan auch
von allen Affecten ſagen/ daß ſie ein Verlan-
gen ſeyn. Von denen vieren/ die wir in vor-
hergehenden Hauptſtuͤck f) Exempels weiſe an-
gefuͤhret/ iſt es ausgemacht. Liebe iſt ein Ver-
langen des geliebten Dinges habhafft zu werden/
oder ſolches zu behalten. Haß iſt ein Verlangen
das gehaßte Ding von ſich abzuhalten/ oder
daſſelbe loß zu werden. Furcht iſt ein Ver-
langen dem boͤſen zu entfliehen. Hoffnung iſt
ein Verlangen das gute zu erlangen. Von de-
nen uͤbrigen wird es in folgenden Hauptſtuͤck
mehrere Gelegenheit geben/ ſolches darzuthun.
Aus dieſen Urſachen haben wir das Verlangen
ſo wohl in der Beſchreibung der vernuͤnfftigen
g) als unvernuͤnfftigen Liebe h) als beyden Ge-
muͤths-Neigungen etwas gemeines (conceptum
genericum) geſetzet.
5. Dieweil man nun ſo wohl gegen das
gute als gegen das boͤſe ein Verlangen traͤgt/ je-
nes zu erlangen und dieſes loß zu werden/ oder
dem-
e) cap. præced. n. ult.
f) n. 2.
g) part. I. c. 4. n. 7.
h) ſuprà cap. 1. n. 38.
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