Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.Das 9. H. Von der Wollust oder einen andern schaden möge oder nicht/zu sagen. Also ist nun ein Wollüstiger gantz nicht verschwiegen/ sondern gar zu offenhertzig/ er trägt sein Hertz in seinen Munde/ und es bren- net ihn alles was er weiß/ daß es ihn recht äng- stet/ bis er sich dessen durch das plaudern ent- schüttet hat. Die tägliche Erfahrung bezeuget solches/ und die Betrachtung des Wesens der Wollust lehret/ daß es nicht anders seyn könne. Beym fressen und sauffen hält man einander nichts vor übel/ und man redet allda/ auch noch ehe man voll wird/ in Tag hinein/ alles unter einander/ ohne Erbarkeit und Bedachtsamkeit. Die Hurerey gewehnet den Menschen an/ erst- lich in verborgenen von unflätigen Dingen zu re- den/ hernach wenn er siehet/ daß seines gleichen Unfläter viel seyn/ auch daselbst mit ihnen umb die Wette sich seiner Schande zu rühmen/ und kein Geheimniß daraus zu machen. Zu ge- schweigen/ daß Wein und delicate Speise/ indem die Dünste davon unsern Kopff einnehmen/ auch unser Judicium und Bedachtsamkeit schwächen/ auch so lange wir voll sind/ uns dessen Gebrauch gar berauben; Zu geschweigen/ daß wenn das Menschliche Hertz an Huren Liebe hänget/ es durch das Liebkosen derselben zerschmeltzet/ daß es sich angewehnet nichts vor derselben zu verbergen. Daraus wird nun eine Gewohnheit. Und weil der Wollüstige mehrentheils seines gleichen Leute umb sich hat/ auch ohne dem ein jeder la- sterhaff-
Das 9. H. Von der Wolluſt oder einen andern ſchaden moͤge oder nicht/zu ſagen. Alſo iſt nun ein Wolluͤſtiger gantz nicht verſchwiegen/ ſondern gar zu offenhertzig/ er traͤgt ſein Hertz in ſeinen Munde/ und es bren- net ihn alles was er weiß/ daß es ihn recht aͤng- ſtet/ bis er ſich deſſen durch das plaudern ent- ſchuͤttet hat. Die taͤgliche Erfahrung bezeuget ſolches/ und die Betrachtung des Weſens der Wolluſt lehret/ daß es nicht anders ſeyn koͤnne. Beym freſſen und ſauffen haͤlt man einander nichts vor uͤbel/ und man redet allda/ auch noch ehe man voll wird/ in Tag hinein/ alles unter einander/ ohne Erbarkeit und Bedachtſamkeit. Die Hurerey gewehnet den Menſchen an/ erſt- lich in verborgenen von unflaͤtigen Dingen zu re- den/ hernach wenn er ſiehet/ daß ſeines gleichen Unflaͤter viel ſeyn/ auch daſelbſt mit ihnen umb die Wette ſich ſeiner Schande zu ruͤhmen/ und kein Geheimniß daraus zu machen. Zu ge- ſchweigen/ daß Wein und delicate Speiſe/ indem die Duͤnſte davon unſern Kopff einnehmen/ auch unſer Judicium und Bedachtſamkeit ſchwaͤchen/ auch ſo lange wir voll ſind/ uns deſſen Gebrauch gar berauben; Zu geſchweigen/ daß wenn das Menſchliche Heꝛtz an Huren Liebe haͤnget/ es duꝛch das Liebkoſen derſelben zerſchmeltzet/ daß es ſich angewehnet nichts vor derſelben zu verbergen. Daraus wird nun eine Gewohnheit. Und weil der Wolluͤſtige mehrentheils ſeines gleichen Leute umb ſich hat/ auch ohne dem ein jeder la- ſterhaff-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0224" n="212"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 9. H. Von der Wolluſt</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">oder einen andern ſchaden moͤge oder nicht/<lb/> zu ſagen.</hi> Alſo iſt nun ein Wolluͤſtiger gantz<lb/><hi rendition="#fr">nicht verſchwiegen/</hi> ſondern gar zu offenhertzig/<lb/> er traͤgt ſein Hertz in ſeinen Munde/ und es bren-<lb/> net ihn alles was er weiß/ daß es ihn recht aͤng-<lb/> ſtet/ bis er ſich deſſen durch das plaudern ent-<lb/> ſchuͤttet hat. Die taͤgliche Erfahrung bezeuget<lb/> ſolches/ und die <hi rendition="#fr">Betrachtung des Weſens der<lb/> Wolluſt</hi> lehret/ daß es nicht anders ſeyn koͤnne.<lb/> Beym freſſen und ſauffen haͤlt man einander<lb/> nichts vor uͤbel/ und man redet allda/ auch noch<lb/> ehe man voll wird/ in Tag hinein/ alles unter<lb/> einander/ ohne Erbarkeit und Bedachtſamkeit.<lb/> Die Hurerey gewehnet den Menſchen an/ erſt-<lb/> lich in verborgenen von unflaͤtigen Dingen zu re-<lb/> den/ hernach wenn er ſiehet/ daß ſeines gleichen<lb/> Unflaͤter viel ſeyn/ auch daſelbſt mit ihnen umb<lb/> die Wette ſich ſeiner Schande zu ruͤhmen/ und<lb/> kein Geheimniß daraus zu machen. Zu ge-<lb/> ſchweigen/ daß Wein und <hi rendition="#aq">delicate</hi> Speiſe/ indem<lb/> die Duͤnſte davon unſern Kopff einnehmen/ auch<lb/> unſer <hi rendition="#aq">Judicium</hi> und Bedachtſamkeit ſchwaͤchen/<lb/> auch ſo lange wir voll ſind/ uns deſſen Gebrauch<lb/> gar berauben; Zu geſchweigen/ daß wenn das<lb/> Menſchliche Heꝛtz an Huren Liebe haͤnget/ es duꝛch<lb/> das Liebkoſen derſelben zerſchmeltzet/ daß es ſich<lb/> angewehnet nichts vor derſelben zu verbergen.<lb/> Daraus wird nun eine Gewohnheit. Und weil<lb/> der Wolluͤſtige mehrentheils ſeines gleichen<lb/> Leute umb ſich hat/ auch ohne dem ein jeder la-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſterhaff-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [212/0224]
Das 9. H. Von der Wolluſt
oder einen andern ſchaden moͤge oder nicht/
zu ſagen. Alſo iſt nun ein Wolluͤſtiger gantz
nicht verſchwiegen/ ſondern gar zu offenhertzig/
er traͤgt ſein Hertz in ſeinen Munde/ und es bren-
net ihn alles was er weiß/ daß es ihn recht aͤng-
ſtet/ bis er ſich deſſen durch das plaudern ent-
ſchuͤttet hat. Die taͤgliche Erfahrung bezeuget
ſolches/ und die Betrachtung des Weſens der
Wolluſt lehret/ daß es nicht anders ſeyn koͤnne.
Beym freſſen und ſauffen haͤlt man einander
nichts vor uͤbel/ und man redet allda/ auch noch
ehe man voll wird/ in Tag hinein/ alles unter
einander/ ohne Erbarkeit und Bedachtſamkeit.
Die Hurerey gewehnet den Menſchen an/ erſt-
lich in verborgenen von unflaͤtigen Dingen zu re-
den/ hernach wenn er ſiehet/ daß ſeines gleichen
Unflaͤter viel ſeyn/ auch daſelbſt mit ihnen umb
die Wette ſich ſeiner Schande zu ruͤhmen/ und
kein Geheimniß daraus zu machen. Zu ge-
ſchweigen/ daß Wein und delicate Speiſe/ indem
die Duͤnſte davon unſern Kopff einnehmen/ auch
unſer Judicium und Bedachtſamkeit ſchwaͤchen/
auch ſo lange wir voll ſind/ uns deſſen Gebrauch
gar berauben; Zu geſchweigen/ daß wenn das
Menſchliche Heꝛtz an Huren Liebe haͤnget/ es duꝛch
das Liebkoſen derſelben zerſchmeltzet/ daß es ſich
angewehnet nichts vor derſelben zu verbergen.
Daraus wird nun eine Gewohnheit. Und weil
der Wolluͤſtige mehrentheils ſeines gleichen
Leute umb ſich hat/ auch ohne dem ein jeder la-
ſterhaff-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |