Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 1. Hauptst. von denen Ursachen
Zustand an/ darinnen weder Glück noch Unglück
wäre. So bestehet auch das Wesen des men-
schlichen Willens in einer Neigung oder Bewe-
gung. Der Mangel vernünfftiger Liebe aber
saget nicht mehr als eine Beraubung der Bewe-
gung welche/ wenn sie nicht mit einer andern Be-
wegung vergesellschafftet wäre/ den Willen des
Menschen/ ja den Menschen selbst gäntzlich ver-
nichtigen würde.

32. Was halten wir uns lange auff? Der
Brunqvell alles Guten ist die Liebe: Der
Brunqvell alles Elendes ist die Liebe: Ohne Lie-
be kan ein Mensch/ er sey beschaffen wie er wolle/
nicht einen Augenblick seyn/ denn es gehet kein
Augenblick dahin/ in welchen der Mensch nicht
etwas als was gutes verlanget/ oder dessen
Dauerung begehret und wündschet.

33. Aber diese beyden Lieben müssen nothwen-
dig unterschiedenes/ ja wiederwärtigen Wesens
seyn/ weil sie so wiederwärtige Würckungen ver-
ursachen. Der Brunqvell alles guten ist die
vernünfftige Liebe/ so muß demnach nothwendig
der Brunqvell alles bösen die unvernünfftige
Liebe
seyn. Und hier hastu nun den Ursprung
des allgemeinen Unglücks/ die unvernünfftige
Liebe; Ja hier hastu das allgemeine Unglück
selbst: nemblich die Unruhe des Gemüthes.

34. Die Betrachtung der Wiederwärtigkeit/
die zwischen der Gemüths-Ruhe und Unruhe/
zwischen der vernünfftigen und unvernünfftigen

Lie-

Das 1. Hauptſt. von denen Urſachen
Zuſtand an/ darinnen weder Gluͤck noch Ungluͤck
waͤre. So beſtehet auch das Weſen des men-
ſchlichen Willens in einer Neigung oder Bewe-
gung. Der Mangel vernuͤnfftiger Liebe aber
ſaget nicht mehr als eine Beraubung der Bewe-
gung welche/ weñ ſie nicht mit einer andern Be-
wegung vergeſellſchafftet waͤre/ den Willen des
Menſchen/ ja den Menſchen ſelbſt gaͤntzlich ver-
nichtigen wuͤrde.

32. Was halten wir uns lange auff? Der
Brunqvell alles Guten iſt die Liebe: Der
Brunqvell alles Elendes iſt die Liebe: Ohne Lie-
be kan ein Menſch/ er ſey beſchaffen wie er wolle/
nicht einen Augenblick ſeyn/ denn es gehet kein
Augenblick dahin/ in welchen der Menſch nicht
etwas als was gutes verlanget/ oder deſſen
Dauerung begehret und wuͤndſchet.

33. Aber dieſe beyden Lieben muͤſſen nothwen-
dig unterſchiedenes/ ja wiederwaͤrtigen Weſens
ſeyn/ weil ſie ſo wiederwaͤrtige Wuͤrckungen ver-
urſachen. Der Brunqvell alles guten iſt die
vernuͤnfftige Liebe/ ſo muß demnach nothwendig
der Brunqvell alles boͤſen die unvernuͤnfftige
Liebe
ſeyn. Und hier haſtu nun den Urſprung
des allgemeinen Ungluͤcks/ die unvernuͤnfftige
Liebe; Ja hier haſtu das allgemeine Ungluͤck
ſelbſt: nemblich die Unruhe des Gemuͤthes.

34. Die Betrachtung der Wiederwaͤrtigkeit/
die zwiſchen der Gemuͤths-Ruhe und Unruhe/
zwiſchen der vernuͤnfftigen und unvernuͤnfftigen

Lie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 1. Haupt&#x017F;t. von denen Ur&#x017F;achen</hi></fw><lb/>
Zu&#x017F;tand an/ darinnen weder Glu&#x0364;ck noch Unglu&#x0364;ck<lb/>
wa&#x0364;re. So be&#x017F;tehet auch das We&#x017F;en des men-<lb/>
&#x017F;chlichen Willens in einer Neigung oder Bewe-<lb/>
gung. Der Mangel vernu&#x0364;nfftiger Liebe aber<lb/>
&#x017F;aget nicht mehr als eine Beraubung der Bewe-<lb/>
gung welche/ wen&#x0303; &#x017F;ie nicht mit einer andern Be-<lb/>
wegung verge&#x017F;ell&#x017F;chafftet wa&#x0364;re/ den Willen des<lb/>
Men&#x017F;chen/ ja den Men&#x017F;chen &#x017F;elb&#x017F;t ga&#x0364;ntzlich ver-<lb/>
nichtigen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>32. Was halten wir uns lange auff? Der<lb/>
Brunqvell alles Guten i&#x017F;t die Liebe: Der<lb/>
Brunqvell alles Elendes i&#x017F;t <hi rendition="#fr">die Liebe</hi>: Ohne Lie-<lb/>
be kan ein Men&#x017F;ch/ er &#x017F;ey be&#x017F;chaffen wie er wolle/<lb/>
nicht einen Augenblick &#x017F;eyn/ denn es gehet kein<lb/>
Augenblick dahin/ in welchen der Men&#x017F;ch nicht<lb/>
etwas als was gutes verlanget/ oder de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Dauerung begehret und wu&#x0364;nd&#x017F;chet.</p><lb/>
        <p>33. Aber die&#x017F;e beyden Lieben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nothwen-<lb/>
dig unter&#x017F;chiedenes/ ja wiederwa&#x0364;rtigen We&#x017F;ens<lb/>
&#x017F;eyn/ weil &#x017F;ie &#x017F;o wiederwa&#x0364;rtige Wu&#x0364;rckungen ver-<lb/>
ur&#x017F;achen. Der Brunqvell alles guten i&#x017F;t die<lb/>
vernu&#x0364;nfftige Liebe/ &#x017F;o muß demnach nothwendig<lb/>
der Brunqvell alles bo&#x0364;&#x017F;en <hi rendition="#fr">die unvernu&#x0364;nfftige<lb/>
Liebe</hi> &#x017F;eyn. Und hier ha&#x017F;tu nun den Ur&#x017F;prung<lb/>
des allgemeinen Unglu&#x0364;cks/ die unvernu&#x0364;nfftige<lb/>
Liebe; Ja hier ha&#x017F;tu das allgemeine Unglu&#x0364;ck<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t: nemblich <hi rendition="#fr">die Unruhe des Gemu&#x0364;thes</hi>.</p><lb/>
        <p>34. Die Betrachtung der Wiederwa&#x0364;rtigkeit/<lb/>
die zwi&#x017F;chen der Gemu&#x0364;ths-Ruhe und Unruhe/<lb/>
zwi&#x017F;chen der vernu&#x0364;nfftigen und unvernu&#x0364;nfftigen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Lie-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0032] Das 1. Hauptſt. von denen Urſachen Zuſtand an/ darinnen weder Gluͤck noch Ungluͤck waͤre. So beſtehet auch das Weſen des men- ſchlichen Willens in einer Neigung oder Bewe- gung. Der Mangel vernuͤnfftiger Liebe aber ſaget nicht mehr als eine Beraubung der Bewe- gung welche/ weñ ſie nicht mit einer andern Be- wegung vergeſellſchafftet waͤre/ den Willen des Menſchen/ ja den Menſchen ſelbſt gaͤntzlich ver- nichtigen wuͤrde. 32. Was halten wir uns lange auff? Der Brunqvell alles Guten iſt die Liebe: Der Brunqvell alles Elendes iſt die Liebe: Ohne Lie- be kan ein Menſch/ er ſey beſchaffen wie er wolle/ nicht einen Augenblick ſeyn/ denn es gehet kein Augenblick dahin/ in welchen der Menſch nicht etwas als was gutes verlanget/ oder deſſen Dauerung begehret und wuͤndſchet. 33. Aber dieſe beyden Lieben muͤſſen nothwen- dig unterſchiedenes/ ja wiederwaͤrtigen Weſens ſeyn/ weil ſie ſo wiederwaͤrtige Wuͤrckungen ver- urſachen. Der Brunqvell alles guten iſt die vernuͤnfftige Liebe/ ſo muß demnach nothwendig der Brunqvell alles boͤſen die unvernuͤnfftige Liebe ſeyn. Und hier haſtu nun den Urſprung des allgemeinen Ungluͤcks/ die unvernuͤnfftige Liebe; Ja hier haſtu das allgemeine Ungluͤck ſelbſt: nemblich die Unruhe des Gemuͤthes. 34. Die Betrachtung der Wiederwaͤrtigkeit/ die zwiſchen der Gemuͤths-Ruhe und Unruhe/ zwiſchen der vernuͤnfftigen und unvernuͤnfftigen Lie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/32
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/32>, abgerufen am 21.11.2024.