Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 12. H. von der Vermischung
geitzig-Zornige gerecht/ der Verschwenderische
freygebig genennet werden; Ein Philosophus
fraget bey dieser seiner wohlgegründeten Mei-
nung nichts darnach/ ob die Hof-Leute oder die
Gelehrten auf Universitaeten/ absonderlich Poe-
ten/ Oratores, Juristen u. s. w. darüber die Stir-
ne runtzeln oder nicht.

39. So dürffte nun wohl das facit in der
Erkäntnüs sein selbst und anderer Menschen da-
hinaus kommen/ daß bey allen Menschen die
vernünfftige Liebe unten an stehe/ und am
geringsten sey/ und daß die drey Haupt-La-
ster bey allen Menschen viele Grade die ver-
nünfftige Liebe übertreffen.
Wir können nichts
darwider sagen/ wenn wir uns selbst recht prüf-
fen/ und uns nicht schmeicheln wollen. Jch neh-
me daher Gelegenheit/ meine bisherige Meinung
zu corrigiren und zu verbessern. Jch habe an-
derswo von dieser Materie gesagt: Daß jeder
Mensch zum wenigsten zwey lasterhafte Passiones
dominantes
habe/ und daß vernünfftige Liebe/
wo nicht die allerunterste sey/ dennoch nur über
eine lasterhaffte Passion den Vorzug habe. Jch
habe zu dem Ende in dem Discurs von des Da-
vids und Salomons temperamenten der ver-
nünfftigen Liebe eine starcke Dosin und einen
mercklichen Vortheil über den Geld-Geitz gege-
ben/ und dergleichen kan vielleicht auch bey an-
dern casibus geschehen seyn. Aber nun erkenne
ich deutlich/ daß die vernünfftige Liebe natürli-
cher Weise nicht könne über eine von denen laster-

haff-

Das 12. H. von der Vermiſchung
geitzig-Zornige gerecht/ der Verſchwenderiſche
freygebig genennet werden; Ein Philoſophus
fraget bey dieſer ſeiner wohlgegruͤndeten Mei-
nung nichts darnach/ ob die Hof-Leute oder die
Gelehrten auf Univerſitæten/ abſonderlich Poë-
ten/ Oratores, Juriſten u. ſ. w. daruͤber die Stir-
ne runtzeln oder nicht.

39. So duͤrffte nun wohl das facit in der
Erkaͤntnuͤs ſein ſelbſt und anderer Menſchen da-
hinaus kommen/ daß bey allen Menſchen die
vernuͤnfftige Liebe unten an ſtehe/ und am
geringſten ſey/ und daß die drey Haupt-La-
ſter bey allen Menſchen viele Grade die ver-
nuͤnfftige Liebe uͤbertreffen.
Wir koͤñen nichts
darwider ſagen/ wenn wir uns ſelbſt recht pruͤf-
fen/ und uns nicht ſchmeicheln wollen. Jch neh-
me daher Gelegenheit/ meine bisherige Meinung
zu corrigiren und zu verbeſſern. Jch habe an-
derswo von dieſer Materie geſagt: Daß jeder
Menſch zum wenigſten zwey laſterhafte Paſſiones
dominantes
habe/ und daß vernuͤnfftige Liebe/
wo nicht die allerunterſte ſey/ dennoch nur uͤber
eine laſterhaffte Paſſion den Vorzug habe. Jch
habe zu dem Ende in dem Diſcurs von des Da-
vids und Salomons temperamenten der ver-
nuͤnfftigen Liebe eine ſtarcke Doſin und einen
mercklichen Vortheil uͤber den Geld-Geitz gege-
ben/ und dergleichen kan vielleicht auch bey an-
dern caſibus geſchehen ſeyn. Aber nun erkenne
ich deutlich/ daß die vernuͤnfftige Liebe natuͤrli-
cher Weiſe nicht koͤnne uͤber eine von denen laſter-

haff-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0364" n="352"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 12. H. von der Vermi&#x017F;chung</hi></fw><lb/>
geitzig-Zornige gerecht/ der Ver&#x017F;chwenderi&#x017F;che<lb/>
freygebig genennet werden; Ein <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophus</hi><lb/>
fraget bey die&#x017F;er &#x017F;einer wohlgegru&#x0364;ndeten Mei-<lb/>
nung nichts darnach/ ob die Hof-Leute oder die<lb/>
Gelehrten auf <hi rendition="#aq">Univer&#x017F;itæt</hi>en/ ab&#x017F;onderlich <hi rendition="#aq">Poë-</hi><lb/>
ten/ <hi rendition="#aq">Oratores, Juri&#x017F;t</hi>en u. &#x017F;. w. daru&#x0364;ber die Stir-<lb/>
ne runtzeln oder nicht.</p><lb/>
        <p>39. So du&#x0364;rffte nun wohl das <hi rendition="#aq">facit</hi> in der<lb/>
Erka&#x0364;ntnu&#x0364;s &#x017F;ein &#x017F;elb&#x017F;t und anderer Men&#x017F;chen da-<lb/>
hinaus kommen/ daß bey <hi rendition="#fr">allen Men&#x017F;chen die<lb/>
vernu&#x0364;nfftige Liebe unten an &#x017F;tehe/ und am<lb/>
gering&#x017F;ten &#x017F;ey/ und daß die drey Haupt-La-<lb/>
&#x017F;ter bey allen Men&#x017F;chen viele Grade die ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftige Liebe u&#x0364;bertreffen.</hi> Wir ko&#x0364;n&#x0303;en nichts<lb/>
darwider &#x017F;agen/ wenn wir uns &#x017F;elb&#x017F;t recht pru&#x0364;f-<lb/>
fen/ und uns nicht &#x017F;chmeicheln wollen. Jch neh-<lb/>
me daher Gelegenheit/ meine bisherige Meinung<lb/>
zu <hi rendition="#aq">corrigir</hi>en und zu verbe&#x017F;&#x017F;ern. Jch habe an-<lb/>
derswo von die&#x017F;er Materie ge&#x017F;agt: Daß jeder<lb/>
Men&#x017F;ch zum wenig&#x017F;ten zwey la&#x017F;terhafte <hi rendition="#aq">Pa&#x017F;&#x017F;iones<lb/>
dominantes</hi> habe/ und daß vernu&#x0364;nfftige Liebe/<lb/>
wo nicht die allerunter&#x017F;te &#x017F;ey/ dennoch nur u&#x0364;ber<lb/>
eine la&#x017F;terhaffte <hi rendition="#aq">Pa&#x017F;&#x017F;ion</hi> den Vorzug habe. Jch<lb/>
habe zu dem Ende in dem <hi rendition="#aq">Di&#x017F;curs</hi> von des Da-<lb/>
vids und Salomons <hi rendition="#aq">temperament</hi>en der ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftigen Liebe eine &#x017F;tarcke <hi rendition="#aq">Do&#x017F;in</hi> und einen<lb/>
mercklichen Vortheil u&#x0364;ber den Geld-Geitz gege-<lb/>
ben/ und dergleichen kan vielleicht auch bey an-<lb/>
dern <hi rendition="#aq">ca&#x017F;ibus</hi> ge&#x017F;chehen &#x017F;eyn. Aber nun erkenne<lb/>
ich deutlich/ daß die vernu&#x0364;nfftige Liebe natu&#x0364;rli-<lb/>
cher Wei&#x017F;e nicht ko&#x0364;nne u&#x0364;ber eine von denen la&#x017F;ter-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">haff-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0364] Das 12. H. von der Vermiſchung geitzig-Zornige gerecht/ der Verſchwenderiſche freygebig genennet werden; Ein Philoſophus fraget bey dieſer ſeiner wohlgegruͤndeten Mei- nung nichts darnach/ ob die Hof-Leute oder die Gelehrten auf Univerſitæten/ abſonderlich Poë- ten/ Oratores, Juriſten u. ſ. w. daruͤber die Stir- ne runtzeln oder nicht. 39. So duͤrffte nun wohl das facit in der Erkaͤntnuͤs ſein ſelbſt und anderer Menſchen da- hinaus kommen/ daß bey allen Menſchen die vernuͤnfftige Liebe unten an ſtehe/ und am geringſten ſey/ und daß die drey Haupt-La- ſter bey allen Menſchen viele Grade die ver- nuͤnfftige Liebe uͤbertreffen. Wir koͤñen nichts darwider ſagen/ wenn wir uns ſelbſt recht pruͤf- fen/ und uns nicht ſchmeicheln wollen. Jch neh- me daher Gelegenheit/ meine bisherige Meinung zu corrigiren und zu verbeſſern. Jch habe an- derswo von dieſer Materie geſagt: Daß jeder Menſch zum wenigſten zwey laſterhafte Paſſiones dominantes habe/ und daß vernuͤnfftige Liebe/ wo nicht die allerunterſte ſey/ dennoch nur uͤber eine laſterhaffte Paſſion den Vorzug habe. Jch habe zu dem Ende in dem Diſcurs von des Da- vids und Salomons temperamenten der ver- nuͤnfftigen Liebe eine ſtarcke Doſin und einen mercklichen Vortheil uͤber den Geld-Geitz gege- ben/ und dergleichen kan vielleicht auch bey an- dern caſibus geſchehen ſeyn. Aber nun erkenne ich deutlich/ daß die vernuͤnfftige Liebe natuͤrli- cher Weiſe nicht koͤnne uͤber eine von denen laſter- haff-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/364
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/364>, abgerufen am 24.11.2024.