Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

nach den untersch. Mein. der Gelehr.
trübniß [Gaudium & Tristitiam] wenn das böse
und gute uns angehet; Wenn aber das böse und
gute andere angehet/ so halten wir sie entweder
dessen würdig/ welches nichts anders als Freude
bey uns erwecket/ nur daß die Freude über des
andern Unglück so dann mit einem Spotten
[cum Irrisione] vergesellschafftet ist: Oder wir
halten dafür/ daß sie es nicht verdienet haben/ so
heisset der affect in ansehen des guten Neid/ [Invi-
dia
] und in ansehen des bösen Erbarmniß/ [Com-
miseratio
] welches Arten der Betrübniß sind. Fer-
ner wenn wir uns selbst als Ursachen des erhalte-
nen guten oder bösen betrachten/ entspringet die
Zufriedenheit mit sich selbst/ [Acquiescentia in
se
] und die Reue. [Poenitentia] Jenes ist der süsseste:
dieses der bitterste affect. Wenn aber andere des-
sen Ursache sind/ entstehet in Betrachtung des gu-
ten Gewogenheit/ [Favor] oder Danckbarkeit/
[Gratitudo] nach dem das gute andern oder uns
selbst wiederfahren; in Betrachtung aber des bö-
sen Ungewogenheit/ [Indignatio] die der Gewo-
genheit/ und Zorn/ [Ira] der der Danckbarkeit
entgegen gesetzet ist. Und wenn wir darauff re-
flecti
ren/ daß andere Menschen uns für Ursachen
des guten und bösen halten/ wird der Ruhm
[Gloriatio] oder die Scham [Pudor] dadurch er-
wecket. Gleichwie aber die lange Daurung des
Ubels die Traurigkeit vergeringert; also entstehet
aus der Dauerung des guten eine Sättigung
oder Eckel.
[Satietas vel Fastidium] Wenn das

gute
E 2

nach den unterſch. Mein. der Gelehr.
truͤbniß [Gaudium & Triſtitiam] wenn das boͤſe
und gute uns angehet; Wenn aber das boͤſe und
gute andere angehet/ ſo halten wir ſie entweder
deſſen wuͤrdig/ welches nichts anders als Freude
bey uns erwecket/ nur daß die Freude uͤber des
andern Ungluͤck ſo dann mit einem Spotten
[cum Irriſione] vergeſellſchafftet iſt: Oder wir
halten dafuͤr/ daß ſie es nicht verdienet haben/ ſo
heiſſet der affect in anſehen des guten Neid/ [Invi-
dia
] und in anſehen des boͤſen Erbarmniß/ [Com-
miſeratio
] welches Arten der Betruͤbniß ſind. Fer-
ner wenn wir uns ſelbſt als Urſachen des erhalte-
nen guten oder boͤſen betrachten/ entſpringet die
Zufriedenheit mit ſich ſelbſt/ [Acquieſcentia in
ſe
] uñ die Reue. [Pœnitentia] Jenes iſt der ſuͤſſeſte:
dieſes der bitterſte affect. Wenn aber andere deſ-
ſen Urſache ſind/ entſtehet in Betrachtung des gu-
ten Gewogenheit/ [Favor] oder Danckbarkeit/
[Gratitudo] nach dem das gute andern oder uns
ſelbſt wiederfahren; in Betrachtung aber des boͤ-
ſen Ungewogenheit/ [Indignatio] die der Gewo-
genheit/ und Zorn/ [Ira] der der Danckbarkeit
entgegen geſetzet iſt. Und wenn wir darauff re-
flecti
ren/ daß andere Menſchen uns fuͤr Urſachen
des guten und boͤſen halten/ wird der Ruhm
[Gloriatio] oder die Scham [Pudor] dadurch er-
wecket. Gleichwie aber die lange Daurung des
Ubels die Traurigkeit vergeringert; alſo entſtehet
aus der Dauerung des guten eine Saͤttigung
oder Eckel.
[Satietas vel Faſtidium] Wenn das

gute
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">nach den unter&#x017F;ch. Mein. der Gelehr.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">tru&#x0364;bniß</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Gaudium &amp; Tri&#x017F;titiam</hi></hi>] wenn das bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
und gute uns angehet; Wenn aber das bo&#x0364;&#x017F;e und<lb/>
gute andere angehet/ &#x017F;o halten wir &#x017F;ie entweder<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rdig/ welches nichts anders als <hi rendition="#fr">Freude</hi><lb/>
bey uns erwecket/ nur daß die Freude u&#x0364;ber des<lb/>
andern Unglu&#x0364;ck &#x017F;o dann mit einem <hi rendition="#fr">Spotten</hi><lb/>
[<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">cum Irri&#x017F;ione</hi></hi>] verge&#x017F;ell&#x017F;chafftet i&#x017F;t: Oder wir<lb/>
halten dafu&#x0364;r/ daß &#x017F;ie es nicht verdienet haben/ &#x017F;o<lb/>
hei&#x017F;&#x017F;et der <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">affect</hi></hi> in an&#x017F;ehen des guten <hi rendition="#fr">Neid/</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Invi-<lb/>
dia</hi></hi>] und in an&#x017F;ehen des bo&#x0364;&#x017F;en <hi rendition="#fr">Erbarmniß/</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Com-<lb/>
mi&#x017F;eratio</hi></hi>] welches Arten der Betru&#x0364;bniß &#x017F;ind. Fer-<lb/>
ner wenn wir uns &#x017F;elb&#x017F;t als Ur&#x017F;achen des erhalte-<lb/>
nen guten oder bo&#x0364;&#x017F;en betrachten/ ent&#x017F;pringet die<lb/><hi rendition="#fr">Zufriedenheit mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t/</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Acquie&#x017F;centia in<lb/>
&#x017F;e</hi></hi>] un&#x0303; die <hi rendition="#fr">Reue</hi>. [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">P&#x0153;nitentia</hi></hi>] Jenes i&#x017F;t der &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te:<lb/>
die&#x017F;es der bitter&#x017F;te <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">affect.</hi></hi> Wenn aber andere de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Ur&#x017F;ache &#x017F;ind/ ent&#x017F;tehet in Betrachtung des gu-<lb/>
ten <hi rendition="#fr">Gewogenheit/</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Favor</hi></hi>] oder <hi rendition="#fr">Danckbarkeit/</hi><lb/>
[<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Gratitudo</hi></hi>] nach dem das gute andern oder uns<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wiederfahren; in Betrachtung aber des bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;en U<hi rendition="#fr">ngewogenheit/</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Indignatio</hi></hi>] die der Gewo-<lb/>
genheit/ und <hi rendition="#fr">Zorn/</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Ira</hi></hi>] der der Danckbarkeit<lb/>
entgegen ge&#x017F;etzet i&#x017F;t. Und wenn wir darauff <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">re-<lb/>
flecti</hi></hi>ren/ daß andere Men&#x017F;chen uns fu&#x0364;r Ur&#x017F;achen<lb/>
des guten und bo&#x0364;&#x017F;en halten/ wird der <hi rendition="#fr">Ruhm</hi><lb/>
[<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Gloriatio</hi></hi>] oder die <hi rendition="#fr">Scham</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Pudor</hi></hi>] dadurch er-<lb/>
wecket. Gleichwie aber die lange Daurung des<lb/>
Ubels die Traurigkeit vergeringert; al&#x017F;o ent&#x017F;tehet<lb/>
aus der Dauerung des guten eine <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ttigung<lb/>
oder Eckel.</hi> [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Satietas vel Fa&#x017F;tidium</hi></hi>] Wenn das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">gute</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0079] nach den unterſch. Mein. der Gelehr. truͤbniß [Gaudium & Triſtitiam] wenn das boͤſe und gute uns angehet; Wenn aber das boͤſe und gute andere angehet/ ſo halten wir ſie entweder deſſen wuͤrdig/ welches nichts anders als Freude bey uns erwecket/ nur daß die Freude uͤber des andern Ungluͤck ſo dann mit einem Spotten [cum Irriſione] vergeſellſchafftet iſt: Oder wir halten dafuͤr/ daß ſie es nicht verdienet haben/ ſo heiſſet der affect in anſehen des guten Neid/ [Invi- dia] und in anſehen des boͤſen Erbarmniß/ [Com- miſeratio] welches Arten der Betruͤbniß ſind. Fer- ner wenn wir uns ſelbſt als Urſachen des erhalte- nen guten oder boͤſen betrachten/ entſpringet die Zufriedenheit mit ſich ſelbſt/ [Acquieſcentia in ſe] uñ die Reue. [Pœnitentia] Jenes iſt der ſuͤſſeſte: dieſes der bitterſte affect. Wenn aber andere deſ- ſen Urſache ſind/ entſtehet in Betrachtung des gu- ten Gewogenheit/ [Favor] oder Danckbarkeit/ [Gratitudo] nach dem das gute andern oder uns ſelbſt wiederfahren; in Betrachtung aber des boͤ- ſen Ungewogenheit/ [Indignatio] die der Gewo- genheit/ und Zorn/ [Ira] der der Danckbarkeit entgegen geſetzet iſt. Und wenn wir darauff re- flectiren/ daß andere Menſchen uns fuͤr Urſachen des guten und boͤſen halten/ wird der Ruhm [Gloriatio] oder die Scham [Pudor] dadurch er- wecket. Gleichwie aber die lange Daurung des Ubels die Traurigkeit vergeringert; alſo entſtehet aus der Dauerung des guten eine Saͤttigung oder Eckel. [Satietas vel Faſtidium] Wenn das gute E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/79
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/79>, abgerufen am 21.11.2024.