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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Das 2. H. von der Geschickligkeit
nen erklähren wilst/ auswendig lernen/
sondern gewehne sie an/ daß sie sie begreiffen
und verstehen mögen.

61. Denn jenes übet zwar das Gedächniß/
aber es schwächet das judicium, weil es mit
dem Menschen mehrentheils so beschaffen ist/
daß was einem von diesen beyden (dem Ge-
dächtniß und judicio) abgehet/ daß wächset
dem andern zu. Nun ist aber so zu reden ein
quintgen judicii höher zu achten/ als ein
Pfund Gedächtniß.

63. Und wenn man ein Ding auswendig
lernet/ bindet man sich gar zu sehr an die Wor-
te/
und indem man dieses thut/ bekümmert
man sich nicht sehr um die Sache selbst. Da
im Gegentheil/ wenn man eine Sache verste-
het/ man dieselbe mit vielerley Worten weiß
fürzubringen. Nun bestehet aber/ wie wir
in der Vernunfft-Lehre begriffen/ die Wahr-
heit nicht in der Ubereinstimmung unserer
Gedancken mit den Worten/ sondern mit der
Sache selbst.

64. Aber siehe doch/ wie wider diese Lecti-
on
insgemein gröblich angestoßen wird. Jch
will itzo von denen Kindern in Schulen nicht
reden/ die z. e. die regeln aus der Gram-

matic,

Das 2. H. von der Geſchickligkeit
nen erklaͤhren wilſt/ auswendig lernen/
ſondern gewehne ſie an/ daß ſie ſie begreiffen
und verſtehen moͤgen.

61. Denn jenes uͤbet zwar das Gedaͤchniß/
aber es ſchwaͤchet das judicium, weil es mit
dem Menſchen mehrentheils ſo beſchaffen iſt/
daß was einem von dieſen beyden (dem Ge-
daͤchtniß und judicio) abgehet/ daß waͤchſet
dem andern zu. Nun iſt aber ſo zu reden ein
quintgen judicii hoͤher zu achten/ als ein
Pfund Gedaͤchtniß.

63. Und wenn man ein Ding auswendig
lernet/ bindet man ſich gar zu ſehr an die Wor-
te/
und indem man dieſes thut/ bekuͤmmert
man ſich nicht ſehr um die Sache ſelbſt. Da
im Gegentheil/ wenn man eine Sache verſte-
het/ man dieſelbe mit vielerley Worten weiß
fuͤrzubringen. Nun beſtehet aber/ wie wir
in der Vernunfft-Lehre begriffen/ die Wahr-
heit nicht in der Ubereinſtimmung unſerer
Gedancken mit den Worten/ ſondern mit der
Sache ſelbſt.

64. Aber ſiehe doch/ wie wider dieſe Lecti-
on
insgemein groͤblich angeſtoßen wird. Jch
will itzo von denen Kindern in Schulen nicht
reden/ die z. e. die regeln aus der Gram-

matic,
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[100/0126] Das 2. H. von der Geſchickligkeit nen erklaͤhren wilſt/ auswendig lernen/ ſondern gewehne ſie an/ daß ſie ſie begreiffen und verſtehen moͤgen. 61. Denn jenes uͤbet zwar das Gedaͤchniß/ aber es ſchwaͤchet das judicium, weil es mit dem Menſchen mehrentheils ſo beſchaffen iſt/ daß was einem von dieſen beyden (dem Ge- daͤchtniß und judicio) abgehet/ daß waͤchſet dem andern zu. Nun iſt aber ſo zu reden ein quintgen judicii hoͤher zu achten/ als ein Pfund Gedaͤchtniß. 63. Und wenn man ein Ding auswendig lernet/ bindet man ſich gar zu ſehr an die Wor- te/ und indem man dieſes thut/ bekuͤmmert man ſich nicht ſehr um die Sache ſelbſt. Da im Gegentheil/ wenn man eine Sache verſte- het/ man dieſelbe mit vielerley Worten weiß fuͤrzubringen. Nun beſtehet aber/ wie wir in der Vernunfft-Lehre begriffen/ die Wahr- heit nicht in der Ubereinſtimmung unſerer Gedancken mit den Worten/ ſondern mit der Sache ſelbſt. 64. Aber ſiehe doch/ wie wider dieſe Lecti- on insgemein groͤblich angeſtoßen wird. Jch will itzo von denen Kindern in Schulen nicht reden/ die z. e. die regeln aus der Gram- matic,

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/126>, abgerufen am 21.11.2024.