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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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von anderer Meinungen zu urtheilen.

50. Und zwar bringen wir entweder offtbesag-
te Affecten als Vorurtheile mit/ ehe wir noch
anfangen die Bücher zu lesen;
Oder aber sie
entstehen bey uns/ in dem wir selbige lesen.

51. Das erste geschiehet/ wenn wir durch
das Vorurtheil menschlicher Autorität einge-
nommen die Bücher unserer Anverwandten
und Freunde/ z. e. Unserer Patronen/ Leute von
unserer Secten/ Leute die uns heucheln und lo-
ben/ lesen/ wodurch unser Verstand verdunckelt
wird/ daß er alles oder das meiste für wahr hält/
oder daß er durch allerhand unvernünfftige
Auslegungen und Ursachen zu entschuldigen
und vertheidigen sucht/ was er sonst ohne Passion
würde für Fehler und Jrrthümer nach denen
obigen Regeln guter Auslegung gehalten ha-
ben. Und wenn wir im Gegentheil die Bü-
cher derer/ denen unsere Anverwandten und
Freunde/ unsere Patronen u. s. w. seind sind/ o-
der derer/ die nicht von unserer Secte sind/ oder
die uns verachten und wider uns geschrieben ha-
ben/ zu lesen anfangen/ so verführet uns unsere
Gemüths-Neigung gemeiniglich/ daß wir alle
unschuldige Reden auffangen und auff das übel-
ste deuten/ daß wir denen Autoren Jrrthümer
andichten/ an die sie nicht gedacht haben/ und daß

wir
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von anderer Meinungen zu urtheilen.

50. Und zwar bringen wir entweder offtbeſag-
te Affecten als Vorurtheile mit/ ehe wir noch
anfangen die Buͤcher zu leſen;
Oder abeꝛ ſie
entſtehen bey uns/ in dem wir ſelbige leſen.

51. Das erſte geſchiehet/ wenn wir durch
das Vorurtheil menſchlicher Autoritaͤt einge-
nommen die Buͤcher unſerer Anverwandten
und Freunde/ z. e. Unſerer Patronen/ Leute von
unſerer Secten/ Leute die uns heucheln und lo-
ben/ leſen/ wodurch unſer Verſtand verdunckelt
wird/ daß er alles oder das meiſte fuͤr wahr haͤlt/
oder daß er durch allerhand unvernuͤnfftige
Auslegungen und Urſachen zu entſchuldigen
und vertheidigen ſucht/ was er ſonſt ohne Paſſion
wuͤrde fuͤr Fehler und Jrrthuͤmer nach denen
obigen Regeln guter Auslegung gehalten ha-
ben. Und wenn wir im Gegentheil die Buͤ-
cher derer/ denen unſere Anverwandten und
Freunde/ unſere Patronen u. ſ. w. ſeind ſind/ o-
der derer/ die nicht von unſerer Secte ſind/ oder
die uns verachten und wider uns geſchrieben ha-
ben/ zu leſen anfangen/ ſo verfuͤhret uns unſere
Gemuͤths-Neigung gemeiniglich/ daß wir alle
unſchuldige Reden auffangen und auff das uͤbel-
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andichten/ an die ſie nicht gedacht haben/ und daß

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[257/0283] von anderer Meinungen zu urtheilen. 50. Und zwar bringen wir entweder offtbeſag- te Affecten als Vorurtheile mit/ ehe wir noch anfangen die Buͤcher zu leſen; Oder abeꝛ ſie entſtehen bey uns/ in dem wir ſelbige leſen. 51. Das erſte geſchiehet/ wenn wir durch das Vorurtheil menſchlicher Autoritaͤt einge- nommen die Buͤcher unſerer Anverwandten und Freunde/ z. e. Unſerer Patronen/ Leute von unſerer Secten/ Leute die uns heucheln und lo- ben/ leſen/ wodurch unſer Verſtand verdunckelt wird/ daß er alles oder das meiſte fuͤr wahr haͤlt/ oder daß er durch allerhand unvernuͤnfftige Auslegungen und Urſachen zu entſchuldigen und vertheidigen ſucht/ was er ſonſt ohne Paſſion wuͤrde fuͤr Fehler und Jrrthuͤmer nach denen obigen Regeln guter Auslegung gehalten ha- ben. Und wenn wir im Gegentheil die Buͤ- cher derer/ denen unſere Anverwandten und Freunde/ unſere Patronen u. ſ. w. ſeind ſind/ o- der derer/ die nicht von unſerer Secte ſind/ oder die uns verachten und wider uns geſchrieben ha- ben/ zu leſen anfangen/ ſo verfuͤhret uns unſere Gemuͤths-Neigung gemeiniglich/ daß wir alle unſchuldige Reden auffangen und auff das uͤbel- ſte deuten/ daß wir denen Autoren Jrrthuͤmer andichten/ an die ſie nicht gedacht haben/ und daß wir R

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/283>, abgerufen am 27.11.2024.