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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792.

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Reise durchs Bockland und ins Rockenland.
Dieser kann sich nicht vertheidigen, weil er sein Gewehr
abgeschossen hat und keine andre Waffen bey sich führt,
auch die Hottentotten ihn im Stiche gelassen haben, und
davon gelaufen sind. Der Löwe greift ihn an und packt
ihn um den Leib. In diesem Augenblicke faßt jener den
Muth, die eine Hand dem Löwen in den Rachen zu stecken,
und hindert ihn dadurch ihn zu zerreißen. Endlich aber
verblutet er sich so sehr, daß er in die stärkste Ohnmacht
sinkt. Der Löwe hält ihn in diesem Zustande für todt,
läßt ihn los, geht davon und begiebt sich wieder ins Schilf,
wo er darauf einige Tage liegen blieb. Als der Bauer
wieder zu sich selbst kam, fand er, daß er von den Klauen
des Thiers in beyden Seiten schlimme Wunden bekommen
hatte, und seine Hand so zerbissen war, daß er keine
Hoffnung haben konnte, daß sie je geheilt und wieder
brauchbar werden würde. Kaum war er zu Hause ge-
kommen, so nahm er selbst -- welch ein Muth! -- das
Beil in die andre Hand, legte die verwundete Hand auf
einen Block, setzte das Beil darauf, befahl seinem Knechte,
mit einer Keule zuzuschlagen, und hieb sich so die Hand
selbst ab. Hierauf ließ er die Stelle mit Kuhmist und
einer darüber gelegten Blase gehörig verbinden, und die
Wunde durch den Gebrauch der gewöhnlichen aus dem
Decocte wohlriechender Kräuter, etwas Schmalz und
Wachs bereiteten Salbe, wieder zuheilen. -- Eine
andre Geschichte hatte sich erst vor einiger Zeit zugetra-
gen. Sie ist diese. Ein alter Landmann ging mit sei-
nem Sohne aus, um einen Löwen von seinem Hofe zu
verjagen. Dieser sprang dem alten Manne in Geschwin-
digkeit auf den Rücken. Der Sohn aber ließ ihm nicht
Zeit, ihn zu tödten, sondern schoß ihn in dieser Stellung
todt, ohne seinen Vater zu versehren. -- Von einer
Wittwe in der Gegend der Schneeberge erzählt man auch

Reiſe durchs Bockland und ins Rockenland.
Dieſer kann ſich nicht vertheidigen, weil er ſein Gewehr
abgeſchoſſen hat und keine andre Waffen bey ſich fuͤhrt,
auch die Hottentotten ihn im Stiche gelaſſen haben, und
davon gelaufen ſind. Der Loͤwe greift ihn an und packt
ihn um den Leib. In dieſem Augenblicke faßt jener den
Muth, die eine Hand dem Loͤwen in den Rachen zu ſtecken,
und hindert ihn dadurch ihn zu zerreißen. Endlich aber
verblutet er ſich ſo ſehr, daß er in die ſtaͤrkſte Ohnmacht
ſinkt. Der Loͤwe haͤlt ihn in dieſem Zuſtande fuͤr todt,
laͤßt ihn los, geht davon und begiebt ſich wieder ins Schilf,
wo er darauf einige Tage liegen blieb. Als der Bauer
wieder zu ſich ſelbſt kam, fand er, daß er von den Klauen
des Thiers in beyden Seiten ſchlimme Wunden bekommen
hatte, und ſeine Hand ſo zerbiſſen war, daß er keine
Hoffnung haben konnte, daß ſie je geheilt und wieder
brauchbar werden wuͤrde. Kaum war er zu Hauſe ge-
kommen, ſo nahm er ſelbſt — welch ein Muth! — das
Beil in die andre Hand, legte die verwundete Hand auf
einen Block, ſetzte das Beil darauf, befahl ſeinem Knechte,
mit einer Keule zuzuſchlagen, und hieb ſich ſo die Hand
ſelbſt ab. Hierauf ließ er die Stelle mit Kuhmiſt und
einer daruͤber gelegten Blaſe gehoͤrig verbinden, und die
Wunde durch den Gebrauch der gewoͤhnlichen aus dem
Decocte wohlriechender Kraͤuter, etwas Schmalz und
Wachs bereiteten Salbe, wieder zuheilen. — Eine
andre Geſchichte hatte ſich erſt vor einiger Zeit zugetra-
gen. Sie iſt dieſe. Ein alter Landmann ging mit ſei-
nem Sohne aus, um einen Loͤwen von ſeinem Hofe zu
verjagen. Dieſer ſprang dem alten Manne in Geſchwin-
digkeit auf den Ruͤcken. Der Sohn aber ließ ihm nicht
Zeit, ihn zu toͤdten, ſondern ſchoß ihn in dieſer Stellung
todt, ohne ſeinen Vater zu verſehren. — Von einer
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[143/0481] Reiſe durchs Bockland und ins Rockenland. Dieſer kann ſich nicht vertheidigen, weil er ſein Gewehr abgeſchoſſen hat und keine andre Waffen bey ſich fuͤhrt, auch die Hottentotten ihn im Stiche gelaſſen haben, und davon gelaufen ſind. Der Loͤwe greift ihn an und packt ihn um den Leib. In dieſem Augenblicke faßt jener den Muth, die eine Hand dem Loͤwen in den Rachen zu ſtecken, und hindert ihn dadurch ihn zu zerreißen. Endlich aber verblutet er ſich ſo ſehr, daß er in die ſtaͤrkſte Ohnmacht ſinkt. Der Loͤwe haͤlt ihn in dieſem Zuſtande fuͤr todt, laͤßt ihn los, geht davon und begiebt ſich wieder ins Schilf, wo er darauf einige Tage liegen blieb. Als der Bauer wieder zu ſich ſelbſt kam, fand er, daß er von den Klauen des Thiers in beyden Seiten ſchlimme Wunden bekommen hatte, und ſeine Hand ſo zerbiſſen war, daß er keine Hoffnung haben konnte, daß ſie je geheilt und wieder brauchbar werden wuͤrde. Kaum war er zu Hauſe ge- kommen, ſo nahm er ſelbſt — welch ein Muth! — das Beil in die andre Hand, legte die verwundete Hand auf einen Block, ſetzte das Beil darauf, befahl ſeinem Knechte, mit einer Keule zuzuſchlagen, und hieb ſich ſo die Hand ſelbſt ab. Hierauf ließ er die Stelle mit Kuhmiſt und einer daruͤber gelegten Blaſe gehoͤrig verbinden, und die Wunde durch den Gebrauch der gewoͤhnlichen aus dem Decocte wohlriechender Kraͤuter, etwas Schmalz und Wachs bereiteten Salbe, wieder zuheilen. — Eine andre Geſchichte hatte ſich erſt vor einiger Zeit zugetra- gen. Sie iſt dieſe. Ein alter Landmann ging mit ſei- nem Sohne aus, um einen Loͤwen von ſeinem Hofe zu verjagen. Dieſer ſprang dem alten Manne in Geſchwin- digkeit auf den Ruͤcken. Der Sohn aber ließ ihm nicht Zeit, ihn zu toͤdten, ſondern ſchoß ihn in dieſer Stellung todt, ohne ſeinen Vater zu verſehren. — Von einer Wittwe in der Gegend der Schneeberge erzaͤhlt man auch

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Zitationshilfe: Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/481>, abgerufen am 16.06.2024.