"ben." -- Der Verstand schlägt die Hände über den Kopf zusammen und muß nun mühsam wie- der alles ins Geleise bringen; oft aber legt er, wie ein Regent, der kein Mittel sich zu helfen sieht, plötzlich die Regierung nieder, entwischt aus seinem eigenen Lande -- und dann ist alles verlohren, in einer ewigen Anarchie zerrüttet sich der Staat selbst. -- Der letzte Fall wird hoffentlich nie bei mir eintreten, aber der erste wahrscheinlich noch oft.
So hatt' ich mir gestern fest vorgenommen, gegen Emilien kälter und zurückgezogener zu seyn, ich hatte mir alle Gründe dazu so dicht vor die Augen gestellt, daß es mir nicht anders möglich war, sie nicht zu sehn, als geradezu die Augen dicht zuzudrücken. Ich hatte mir ein ordentliches Schema gemacht, wonach ich handeln wollte, und mir bestimmt alle Linien vorgezeichnet, um in keinem Umstande zu fehlen. -- Aber mir geht es oft wie einem ungeschick- ten Billardspieler, der der Kugel seines Gegners eine ganz andre Richtung giebt, als er wollte, oder sich gar selber verläuft. Denn kaum hatte ich meinem festen, unwandelbaren Vorsatze noch die letzte Kraft gegeben, als mir Emilie im
»ben.» — Der Verſtand ſchlaͤgt die Haͤnde uͤber den Kopf zuſammen und muß nun muͤhſam wie- der alles ins Geleiſe bringen; oft aber legt er, wie ein Regent, der kein Mittel ſich zu helfen ſieht, ploͤtzlich die Regierung nieder, entwiſcht aus ſeinem eigenen Lande — und dann iſt alles verlohren, in einer ewigen Anarchie zerruͤttet ſich der Staat ſelbſt. — Der letzte Fall wird hoffentlich nie bei mir eintreten, aber der erſte wahrſcheinlich noch oft.
So hatt’ ich mir geſtern feſt vorgenommen, gegen Emilien kaͤlter und zuruͤckgezogener zu ſeyn, ich hatte mir alle Gruͤnde dazu ſo dicht vor die Augen geſtellt, daß es mir nicht anders moͤglich war, ſie nicht zu ſehn, als geradezu die Augen dicht zuzudruͤcken. Ich hatte mir ein ordentliches Schema gemacht, wonach ich handeln wollte, und mir beſtimmt alle Linien vorgezeichnet, um in keinem Umſtande zu fehlen. — Aber mir geht es oft wie einem ungeſchick- ten Billardſpieler, der der Kugel ſeines Gegners eine ganz andre Richtung giebt, als er wollte, oder ſich gar ſelber verlaͤuft. Denn kaum hatte ich meinem feſten, unwandelbaren Vorſatze noch die letzte Kraft gegeben, als mir Emilie im
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[205[203]/0213]
»ben.» — Der Verſtand ſchlaͤgt die Haͤnde uͤber
den Kopf zuſammen und muß nun muͤhſam wie-
der alles ins Geleiſe bringen; oft aber legt er,
wie ein Regent, der kein Mittel ſich zu helfen
ſieht, ploͤtzlich die Regierung nieder, entwiſcht
aus ſeinem eigenen Lande — und dann iſt alles
verlohren, in einer ewigen Anarchie zerruͤttet
ſich der Staat ſelbſt. — Der letzte Fall wird
hoffentlich nie bei mir eintreten, aber der erſte
wahrſcheinlich noch oft.
So hatt’ ich mir geſtern feſt vorgenommen,
gegen Emilien kaͤlter und zuruͤckgezogener zu
ſeyn, ich hatte mir alle Gruͤnde dazu ſo dicht
vor die Augen geſtellt, daß es mir nicht anders
moͤglich war, ſie nicht zu ſehn, als geradezu
die Augen dicht zuzudruͤcken. Ich hatte mir
ein ordentliches Schema gemacht, wonach ich
handeln wollte, und mir beſtimmt alle Linien
vorgezeichnet, um in keinem Umſtande zu fehlen.
— Aber mir geht es oft wie einem ungeſchick-
ten Billardſpieler, der der Kugel ſeines Gegners
eine ganz andre Richtung giebt, als er wollte,
oder ſich gar ſelber verlaͤuft. Denn kaum hatte
ich meinem feſten, unwandelbaren Vorſatze noch
die letzte Kraft gegeben, als mir Emilie im
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 205[203]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/213>, abgerufen am 21.11.2024.
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