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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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O Gott, mein Vater, welch ein armseeliges,
dürftiges Gewebe ist unser Leben! Grob und unge-
schickt sind alle Farben aufgetragen: alle Freuden
sind nur Langeweile, die etwas weniger drückt,
wenn wir alle Freuden in gewissen Stunden
betrachten; alles verrinnt und verfliegt; wie
Bettler stehn wir am Ende unsrer Wanderschaft,
die unterwegs schon alle die dürftigen Almosen
verzehrt haben, die sie gesammelt hatten, sie
sind eben so arm, als da sie ihren Weg antra-
ten. -- Ach nur ein Glück geleitet uns über
den dürren Pfad und bestreut ihn mit Blumen;
alle Erscheinungen, die uns entgegenkommen,
grüßen uns und gehn flüchtig vorüber; nur die
Liebe allein ergreift herzlich unsre Hand und
begleitet uns treulich durch das Leben. Um
dieser Liebe willen, um der Liebe willen, mit
der Sie einst meine Mutter liebten, geben Sie
Ihre väterliche Einwilligung in mein Glück.
Glauben Sie nicht, daß es eine vorübergehende
Thorheit ist, die mich zu dieser Bitte bewegt;
an Amaliens Seele ist die Kette meines Lebens
und meiner Tugend befestigt, das fühle ich un-
widersprechlich im Innersten meines Herzens;
wenn Sie uns auseinanderreißen, so zerschneiden

O Gott, mein Vater, welch ein armſeeliges,
duͤrftiges Gewebe iſt unſer Leben! Grob und unge-
ſchickt ſind alle Farben aufgetragen: alle Freuden
ſind nur Langeweile, die etwas weniger druͤckt,
wenn wir alle Freuden in gewiſſen Stunden
betrachten; alles verrinnt und verfliegt; wie
Bettler ſtehn wir am Ende unſrer Wanderſchaft,
die unterwegs ſchon alle die duͤrftigen Almoſen
verzehrt haben, die ſie geſammelt hatten, ſie
ſind eben ſo arm, als da ſie ihren Weg antra-
ten. — Ach nur ein Gluͤck geleitet uns uͤber
den duͤrren Pfad und beſtreut ihn mit Blumen;
alle Erſcheinungen, die uns entgegenkommen,
gruͤßen uns und gehn fluͤchtig voruͤber; nur die
Liebe allein ergreift herzlich unſre Hand und
begleitet uns treulich durch das Leben. Um
dieſer Liebe willen, um der Liebe willen, mit
der Sie einſt meine Mutter liebten, geben Sie
Ihre vaͤterliche Einwilligung in mein Gluͤck.
Glauben Sie nicht, daß es eine voruͤbergehende
Thorheit iſt, die mich zu dieſer Bitte bewegt;
an Amaliens Seele iſt die Kette meines Lebens
und meiner Tugend befeſtigt, das fuͤhle ich un-
widerſprechlich im Innerſten meines Herzens;
wenn Sie uns auseinanderreißen, ſo zerſchneiden

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[346[344]/0354] O Gott, mein Vater, welch ein armſeeliges, duͤrftiges Gewebe iſt unſer Leben! Grob und unge- ſchickt ſind alle Farben aufgetragen: alle Freuden ſind nur Langeweile, die etwas weniger druͤckt, wenn wir alle Freuden in gewiſſen Stunden betrachten; alles verrinnt und verfliegt; wie Bettler ſtehn wir am Ende unſrer Wanderſchaft, die unterwegs ſchon alle die duͤrftigen Almoſen verzehrt haben, die ſie geſammelt hatten, ſie ſind eben ſo arm, als da ſie ihren Weg antra- ten. — Ach nur ein Gluͤck geleitet uns uͤber den duͤrren Pfad und beſtreut ihn mit Blumen; alle Erſcheinungen, die uns entgegenkommen, gruͤßen uns und gehn fluͤchtig voruͤber; nur die Liebe allein ergreift herzlich unſre Hand und begleitet uns treulich durch das Leben. Um dieſer Liebe willen, um der Liebe willen, mit der Sie einſt meine Mutter liebten, geben Sie Ihre vaͤterliche Einwilligung in mein Gluͤck. Glauben Sie nicht, daß es eine voruͤbergehende Thorheit iſt, die mich zu dieſer Bitte bewegt; an Amaliens Seele iſt die Kette meines Lebens und meiner Tugend befeſtigt, das fuͤhle ich un- widerſprechlich im Innerſten meines Herzens; wenn Sie uns auseinanderreißen, ſo zerſchneiden

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 346[344]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/354>, abgerufen am 24.11.2024.