bleibt um so leerer, je voller das Ohr ist; die Seele kann nur diesen stillen Gesang so recht aus dem Grunde genießen, hier schwimmt sie mit dem silbernen Strome in ferne dunkle Ge- genden hinunter, die leisesten Ahndungen erwa- chen in den Winkeln, und gehn still durch das Herz und Rückerinnerung eines frühern Daseyns, wunderbares Vorgefühl der Unsterblichkeit rührt die Seele an.
Wenn ich ihr gegenüber sitze, -- o wie Feuer weht mich ihr Athem an! Ich habe ihr schon an den Busen stürzen wollen, und diese Reize mit unzähligen Küssen bedecken; ich träume oft so lebhaft vor mir hin, daß ich nachher unge- wiß bin, ob ich es nicht schon gethan habe. Es reißt mich eine unbekannte Kraft zu ihr hinüber, die Töne ihrer Laute klingen mir oft schmerzhaft im Kopfe nach -- und bald, bald muß es sich ändern, oder ich verliere den Verstand.
Der Arme, er merkt nicht, daß es schon geschehn ist! werden Sie ausrufen. Sie sehn, daß ich Ihnen selhst die Waffen gegen mich in die Hand gebe. Ach ich mag an keine witzigen Einfälle denken, ich mag mir nicht meine heißen
bleibt um ſo leerer, je voller das Ohr iſt; die Seele kann nur dieſen ſtillen Geſang ſo recht aus dem Grunde genießen, hier ſchwimmt ſie mit dem ſilbernen Strome in ferne dunkle Ge- genden hinunter, die leiſeſten Ahndungen erwa- chen in den Winkeln, und gehn ſtill durch das Herz und Ruͤckerinnerung eines fruͤhern Daſeyns, wunderbares Vorgefuͤhl der Unſterblichkeit ruͤhrt die Seele an.
Wenn ich ihr gegenuͤber ſitze, — o wie Feuer weht mich ihr Athem an! Ich habe ihr ſchon an den Buſen ſtuͤrzen wollen, und dieſe Reize mit unzaͤhligen Kuͤſſen bedecken; ich traͤume oft ſo lebhaft vor mir hin, daß ich nachher unge- wiß bin, ob ich es nicht ſchon gethan habe. Es reißt mich eine unbekannte Kraft zu ihr hinuͤber, die Toͤne ihrer Laute klingen mir oft ſchmerzhaft im Kopfe nach — und bald, bald muß es ſich aͤndern, oder ich verliere den Verſtand.
Der Arme, er merkt nicht, daß es ſchon geſchehn iſt! werden Sie ausrufen. Sie ſehn, daß ich Ihnen ſelhſt die Waffen gegen mich in die Hand gebe. Ach ich mag an keine witzigen Einfaͤlle denken, ich mag mir nicht meine heißen
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bleibt um ſo leerer, je voller das Ohr iſt; die
Seele kann nur dieſen ſtillen Geſang ſo recht
aus dem Grunde genießen, hier ſchwimmt ſie
mit dem ſilbernen Strome in ferne dunkle Ge-
genden hinunter, die leiſeſten Ahndungen erwa-
chen in den Winkeln, und gehn ſtill durch das
Herz und Ruͤckerinnerung eines fruͤhern Daſeyns,
wunderbares Vorgefuͤhl der Unſterblichkeit ruͤhrt
die Seele an.
Wenn ich ihr gegenuͤber ſitze, — o wie Feuer
weht mich ihr Athem an! Ich habe ihr ſchon
an den Buſen ſtuͤrzen wollen, und dieſe Reize
mit unzaͤhligen Kuͤſſen bedecken; ich traͤume oft
ſo lebhaft vor mir hin, daß ich nachher unge-
wiß bin, ob ich es nicht ſchon gethan habe.
Es reißt mich eine unbekannte Kraft zu ihr
hinuͤber, die Toͤne ihrer Laute klingen mir oft
ſchmerzhaft im Kopfe nach — und bald, bald
muß es ſich aͤndern, oder ich verliere den
Verſtand.
Der Arme, er merkt nicht, daß es ſchon
geſchehn iſt! werden Sie ausrufen. Sie ſehn,
daß ich Ihnen ſelhſt die Waffen gegen mich in
die Hand gebe. Ach ich mag an keine witzigen
Einfaͤlle denken, ich mag mir nicht meine heißen
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/152>, abgerufen am 21.11.2024.
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