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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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ein Räthsel: sie kommt mir in manchen Augen-
blicken mit ihrer Unschuld wie eine heilige Prie-
sterinn, oder wie eine unverletzliche Gottheit
vor; -- und dann wieder die feurigen Augen!
Der muthwillige Zug um den Mund! --

Ich habe neulich in der Ferne für mich ein
paar schalkhafte italiänische Liedchen gesungen,
und ich ertappte sie gestern, wie sie eben, wie
unwillkührlich, die ersten Takte griff, und den
Anfang sang. -- Plötzlich hielt sie inne, ward
ohne zu lachen roth, und legte die Laute fort,
gleichsam wie eine gefährliche, nicht genug ver-
schwiegene Freundinn. -- Ich kenne nichts schö-
ners, als diese ungeschminkte Natur zu studi-
ren; o sie wird, sie muß die Meinige werden! --
Stammelnd hab' ich ihr die Ehe versprochen,
und, das weiß Gott! wenigstens halb im Ernst. --

So eben seh ich sie vor die Thüre treten,
ich gehe zu ihr; -- leben Sie wohl.



ein Raͤthſel: ſie kommt mir in manchen Augen-
blicken mit ihrer Unſchuld wie eine heilige Prie-
ſterinn, oder wie eine unverletzliche Gottheit
vor; — und dann wieder die feurigen Augen!
Der muthwillige Zug um den Mund! —

Ich habe neulich in der Ferne fuͤr mich ein
paar ſchalkhafte italiaͤniſche Liedchen geſungen,
und ich ertappte ſie geſtern, wie ſie eben, wie
unwillkuͤhrlich, die erſten Takte griff, und den
Anfang ſang. — Ploͤtzlich hielt ſie inne, ward
ohne zu lachen roth, und legte die Laute fort,
gleichſam wie eine gefaͤhrliche, nicht genug ver-
ſchwiegene Freundinn. — Ich kenne nichts ſchoͤ-
ners, als dieſe ungeſchminkte Natur zu ſtudi-
ren; o ſie wird, ſie muß die Meinige werden! —
Stammelnd hab’ ich ihr die Ehe verſprochen,
und, das weiß Gott! wenigſtens halb im Ernſt. —

So eben ſeh ich ſie vor die Thuͤre treten,
ich gehe zu ihr; — leben Sie wohl.



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[149/0155] ein Raͤthſel: ſie kommt mir in manchen Augen- blicken mit ihrer Unſchuld wie eine heilige Prie- ſterinn, oder wie eine unverletzliche Gottheit vor; — und dann wieder die feurigen Augen! Der muthwillige Zug um den Mund! — Ich habe neulich in der Ferne fuͤr mich ein paar ſchalkhafte italiaͤniſche Liedchen geſungen, und ich ertappte ſie geſtern, wie ſie eben, wie unwillkuͤhrlich, die erſten Takte griff, und den Anfang ſang. — Ploͤtzlich hielt ſie inne, ward ohne zu lachen roth, und legte die Laute fort, gleichſam wie eine gefaͤhrliche, nicht genug ver- ſchwiegene Freundinn. — Ich kenne nichts ſchoͤ- ners, als dieſe ungeſchminkte Natur zu ſtudi- ren; o ſie wird, ſie muß die Meinige werden! — Stammelnd hab’ ich ihr die Ehe verſprochen, und, das weiß Gott! wenigſtens halb im Ernſt. — So eben ſeh ich ſie vor die Thuͤre treten, ich gehe zu ihr; — leben Sie wohl.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/155>, abgerufen am 25.05.2024.