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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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55.
Rosa an William Lovell.


Ja ich will nur endlich kommen, denn es
scheint mir selbst, als wenn Sie meiner bedürf-
ten
. Lieber Freund, Sie sind in Ihren Brie-
fen nicht mehr so aufrichtig, als Sie es an-
fangs waren; Sie fangen an, sich zu maskiren,
aber ich sehe gar nicht warum. Schämen Sie
sich zu gestehen, daß Ihre Leidenschaft nun nach
dem Genusse nicht mehr jenes stürmende, drän-
gende Gefühl ist, voller Ahndung und Ungewiß-
heit? Sagen Sie es nur dreist heraus, denn
die Schuld davon liegt nicht an Ihnen, son-
dern an der Einrichtung unsrer Natur, der wir
uns unbedingt unterwerfen müssen. -- Erinnern
Sie sich, was ich Ihnen mit prophetischem
Geiste schon in einem meiner frühern Briefe
sagte, daß man sich nie zwingen müsse, mit
Enthusiasmus die Leere auszufüllen, die sich oft
plötzlich in alle unsre Gefühle reißt, denn dies
ist die höchste Quaal des Lebens, die wahre
Tortur der Seele. Geben Sie sich und Ihren

55.
Roſa an William Lovell.


Ja ich will nur endlich kommen, denn es
ſcheint mir ſelbſt, als wenn Sie meiner beduͤrf-
ten
. Lieber Freund, Sie ſind in Ihren Brie-
fen nicht mehr ſo aufrichtig, als Sie es an-
fangs waren; Sie fangen an, ſich zu maskiren,
aber ich ſehe gar nicht warum. Schaͤmen Sie
ſich zu geſtehen, daß Ihre Leidenſchaft nun nach
dem Genuſſe nicht mehr jenes ſtuͤrmende, draͤn-
gende Gefuͤhl iſt, voller Ahndung und Ungewiß-
heit? Sagen Sie es nur dreiſt heraus, denn
die Schuld davon liegt nicht an Ihnen, ſon-
dern an der Einrichtung unſrer Natur, der wir
uns unbedingt unterwerfen muͤſſen. — Erinnern
Sie ſich, was ich Ihnen mit prophetiſchem
Geiſte ſchon in einem meiner fruͤhern Briefe
ſagte, daß man ſich nie zwingen muͤſſe, mit
Enthuſiasmus die Leere auszufuͤllen, die ſich oft
ploͤtzlich in alle unſre Gefuͤhle reißt, denn dies
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Tortur der Seele. Geben Sie ſich und Ihren

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[196/0202] 55. Roſa an William Lovell. Tivoli. Ja ich will nur endlich kommen, denn es ſcheint mir ſelbſt, als wenn Sie meiner beduͤrf- ten. Lieber Freund, Sie ſind in Ihren Brie- fen nicht mehr ſo aufrichtig, als Sie es an- fangs waren; Sie fangen an, ſich zu maskiren, aber ich ſehe gar nicht warum. Schaͤmen Sie ſich zu geſtehen, daß Ihre Leidenſchaft nun nach dem Genuſſe nicht mehr jenes ſtuͤrmende, draͤn- gende Gefuͤhl iſt, voller Ahndung und Ungewiß- heit? Sagen Sie es nur dreiſt heraus, denn die Schuld davon liegt nicht an Ihnen, ſon- dern an der Einrichtung unſrer Natur, der wir uns unbedingt unterwerfen muͤſſen. — Erinnern Sie ſich, was ich Ihnen mit prophetiſchem Geiſte ſchon in einem meiner fruͤhern Briefe ſagte, daß man ſich nie zwingen muͤſſe, mit Enthuſiasmus die Leere auszufuͤllen, die ſich oft ploͤtzlich in alle unſre Gefuͤhle reißt, denn dies iſt die hoͤchſte Quaal des Lebens, die wahre Tortur der Seele. Geben Sie ſich und Ihren

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/202>, abgerufen am 23.11.2024.