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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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vergebens gesucht. -- Wenn ich die Augen zu-
mache, unterrede ich mich mit Dir und trage
Dir allen Gram und alle Sorgen vor. Ich
finde dabey nichts zu lachen, denn was thun
unsre Briefe denn anders? Vielleicht daß sich
in einem andern Leben die entfernten Gedanken
schneller und edler zusammenfinden, als durch
Sprache und todte Zeichen; vielleicht daß wir
dann erst besitzen, was wir jetzt nur zum Lehn
erhalten haben; vielleicht thut sich uns dann
das Verständniß auf, daß alle, alle Menschen
das Gute wollten und hatten, aber daß die
grobe unbeholfene Außenseite nicht gelenk genug
war; und so finde ich denn, William, daß Du
mir auch jetzt nicht entfremdet bist. Der Ge-
danke beruhigt mich, und macht mich heiter. --



Keine Antwort von Dir! Kein Laut aus
der fernen Gegend herüber! -- Wie ich mich
hinsehne, wie sich oft mein Geist in mir aus-
streckt, als wenn er zu Dir hinüberreichen woll-
te. Ich erinnre mich mancher Kindermärchen,
und kann Stundenlang an das Wünschhütchen
denken, das einen plötzlich von einem Orte zum

vergebens geſucht. — Wenn ich die Augen zu-
mache, unterrede ich mich mit Dir und trage
Dir allen Gram und alle Sorgen vor. Ich
finde dabey nichts zu lachen, denn was thun
unſre Briefe denn anders? Vielleicht daß ſich
in einem andern Leben die entfernten Gedanken
ſchneller und edler zuſammenfinden, als durch
Sprache und todte Zeichen; vielleicht daß wir
dann erſt beſitzen, was wir jetzt nur zum Lehn
erhalten haben; vielleicht thut ſich uns dann
das Verſtaͤndniß auf, daß alle, alle Menſchen
das Gute wollten und hatten, aber daß die
grobe unbeholfene Außenſeite nicht gelenk genug
war; und ſo finde ich denn, William, daß Du
mir auch jetzt nicht entfremdet biſt. Der Ge-
danke beruhigt mich, und macht mich heiter. —



Keine Antwort von Dir! Kein Laut aus
der fernen Gegend heruͤber! — Wie ich mich
hinſehne, wie ſich oft mein Geiſt in mir aus-
ſtreckt, als wenn er zu Dir hinuͤberreichen woll-
te. Ich erinnre mich mancher Kindermaͤrchen,
und kann Stundenlang an das Wuͤnſchhuͤtchen
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[228/0234] vergebens geſucht. — Wenn ich die Augen zu- mache, unterrede ich mich mit Dir und trage Dir allen Gram und alle Sorgen vor. Ich finde dabey nichts zu lachen, denn was thun unſre Briefe denn anders? Vielleicht daß ſich in einem andern Leben die entfernten Gedanken ſchneller und edler zuſammenfinden, als durch Sprache und todte Zeichen; vielleicht daß wir dann erſt beſitzen, was wir jetzt nur zum Lehn erhalten haben; vielleicht thut ſich uns dann das Verſtaͤndniß auf, daß alle, alle Menſchen das Gute wollten und hatten, aber daß die grobe unbeholfene Außenſeite nicht gelenk genug war; und ſo finde ich denn, William, daß Du mir auch jetzt nicht entfremdet biſt. Der Ge- danke beruhigt mich, und macht mich heiter. — Keine Antwort von Dir! Kein Laut aus der fernen Gegend heruͤber! — Wie ich mich hinſehne, wie ſich oft mein Geiſt in mir aus- ſtreckt, als wenn er zu Dir hinuͤberreichen woll- te. Ich erinnre mich mancher Kindermaͤrchen, und kann Stundenlang an das Wuͤnſchhuͤtchen denken, das einen ploͤtzlich von einem Orte zum

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/234>, abgerufen am 18.05.2024.