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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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stritt. -- Eitelkeit, sagt' ich, verband uns viel-
leicht, und ich möchte jetzt hinzusetzen, daß ich
nicht mehr daran zweifle.

Erinnerst Du Dich noch des Tages, an wel-
chem zuerst aus einer langweiligen Bekanntschaft
unsre sogenannte Freundschaft entstand? -- Wir
waren auf einem Spatziergange, es war ein
schöner Tag, und wir bestiegen den Berg, auf
welchem schauerlich und wild die Ruinen eines
alten Schlosses liegen. -- Du klettertest mir
mit jugendlichem Muthe voran, um mich in
der Kühnheit zu übertreffen, und mein Wettei-
fer vermehrte sich mit Deiner Geschicklichkeit.
Wir standen oben, und sahen mit Entzücken in
die romantische Gegend hinab; ich hatte Dich
bewundert, aber Dir war es noch nicht genug,
Du stelltest Dich jetzt auf den äußersten Punkt
eines hervorragenden, zerbröckelten Gesteins, so
daß mir hinter Dir schwindelte. Ich sah Dich
frey in der Luft schweben, und eine unbegreif-
liche Lust ergriff mich, Dich von der Spitze des
Felsen in die Tiefe hinunterzustoßen; je mehr
ich mich dieser Begierde erwehren wollte, desto
heftiger ward sie in mir; endlich um mich selbst
zu überwältigen, riß ich Dich mit gewaltigen

Armen

ſtritt. — Eitelkeit, ſagt’ ich, verband uns viel-
leicht, und ich moͤchte jetzt hinzuſetzen, daß ich
nicht mehr daran zweifle.

Erinnerſt Du Dich noch des Tages, an wel-
chem zuerſt aus einer langweiligen Bekanntſchaft
unſre ſogenannte Freundſchaft entſtand? — Wir
waren auf einem Spatziergange, es war ein
ſchoͤner Tag, und wir beſtiegen den Berg, auf
welchem ſchauerlich und wild die Ruinen eines
alten Schloſſes liegen. — Du kletterteſt mir
mit jugendlichem Muthe voran, um mich in
der Kuͤhnheit zu uͤbertreffen, und mein Wettei-
fer vermehrte ſich mit Deiner Geſchicklichkeit.
Wir ſtanden oben, und ſahen mit Entzuͤcken in
die romantiſche Gegend hinab; ich hatte Dich
bewundert, aber Dir war es noch nicht genug,
Du ſtellteſt Dich jetzt auf den aͤußerſten Punkt
eines hervorragenden, zerbroͤckelten Geſteins, ſo
daß mir hinter Dir ſchwindelte. Ich ſah Dich
frey in der Luft ſchweben, und eine unbegreif-
liche Luſt ergriff mich, Dich von der Spitze des
Felſen in die Tiefe hinunterzuſtoßen; je mehr
ich mich dieſer Begierde erwehren wollte, deſto
heftiger ward ſie in mir; endlich um mich ſelbſt
zu uͤberwaͤltigen, riß ich Dich mit gewaltigen

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[240/0246] ſtritt. — Eitelkeit, ſagt’ ich, verband uns viel- leicht, und ich moͤchte jetzt hinzuſetzen, daß ich nicht mehr daran zweifle. Erinnerſt Du Dich noch des Tages, an wel- chem zuerſt aus einer langweiligen Bekanntſchaft unſre ſogenannte Freundſchaft entſtand? — Wir waren auf einem Spatziergange, es war ein ſchoͤner Tag, und wir beſtiegen den Berg, auf welchem ſchauerlich und wild die Ruinen eines alten Schloſſes liegen. — Du kletterteſt mir mit jugendlichem Muthe voran, um mich in der Kuͤhnheit zu uͤbertreffen, und mein Wettei- fer vermehrte ſich mit Deiner Geſchicklichkeit. Wir ſtanden oben, und ſahen mit Entzuͤcken in die romantiſche Gegend hinab; ich hatte Dich bewundert, aber Dir war es noch nicht genug, Du ſtellteſt Dich jetzt auf den aͤußerſten Punkt eines hervorragenden, zerbroͤckelten Geſteins, ſo daß mir hinter Dir ſchwindelte. Ich ſah Dich frey in der Luft ſchweben, und eine unbegreif- liche Luſt ergriff mich, Dich von der Spitze des Felſen in die Tiefe hinunterzuſtoßen; je mehr ich mich dieſer Begierde erwehren wollte, deſto heftiger ward ſie in mir; endlich um mich ſelbſt zu uͤberwaͤltigen, riß ich Dich mit gewaltigen Armen

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/246>, abgerufen am 18.05.2024.