Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

die größten Dichter, und Titian und der muth-
willige Correggio stehen weit über Domi-
nichino
und den frommen Raphael.

Ich halte selbst die Andacht nur für einen
abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes,
der sich in tausend mannichfaltigen Farben
bricht, und auf jede Stunde unsers Lebens Einen
Funken wirft. -- Da mir die Augen nun dar-
über geöfnet sind, will ich mich geduldig in
mein Schicksal ergeben, ich darf kein Engel
seyn, aber ungestört will ich als Mensch da-
hin wandeln, ich will mich hüten, mir selbst um
mein Daseyn ängstigende Schranken zu ziehn. --
So ist mir der Name Amalie fremd geworden;
war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe,
etwas anders, als das rohe Streben nach ih-
rem Besitze? ein Gefühl, das wir uns von Ju-
gend auf verkünsteln, und uns das simple Ge-
mählde unsers Lebens mit unsinnigen Arabesken
verderben. -- Darum eben verachtet der Greis
diese jugendlichen Aufwallungen und wilden
Sprünge des Gefühls, weil er zu gut erfahren
hat, wohin sich alle diese glänzende Meteore
am Ende senken; sie fallen wieder wie Raketen
zur Erde und verlöschen. -- Aber diese Greise

B 2

die groͤßten Dichter, und Titian und der muth-
willige Correggio ſtehen weit uͤber Domi-
nichino
und den frommen Raphael.

Ich halte ſelbſt die Andacht nur fuͤr einen
abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes,
der ſich in tauſend mannichfaltigen Farben
bricht, und auf jede Stunde unſers Lebens Einen
Funken wirft. — Da mir die Augen nun dar-
uͤber geoͤfnet ſind, will ich mich geduldig in
mein Schickſal ergeben, ich darf kein Engel
ſeyn, aber ungeſtoͤrt will ich als Menſch da-
hin wandeln, ich will mich huͤten, mir ſelbſt um
mein Daſeyn aͤngſtigende Schranken zu ziehn. —
So iſt mir der Name Amalie fremd geworden;
war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe,
etwas anders, als das rohe Streben nach ih-
rem Beſitze? ein Gefuͤhl, das wir uns von Ju-
gend auf verkuͤnſteln, und uns das ſimple Ge-
maͤhlde unſers Lebens mit unſinnigen Arabesken
verderben. — Darum eben verachtet der Greis
dieſe jugendlichen Aufwallungen und wilden
Spruͤnge des Gefuͤhls, weil er zu gut erfahren
hat, wohin ſich alle dieſe glaͤnzende Meteore
am Ende ſenken; ſie fallen wieder wie Raketen
zur Erde und verloͤſchen. — Aber dieſe Greiſe

B 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="19"/>
die gro&#x0364;ßten Dichter, und <hi rendition="#g">Titian</hi> und der muth-<lb/>
willige <hi rendition="#g">Correggio</hi> &#x017F;tehen weit u&#x0364;ber <hi rendition="#g">Domi-<lb/>
nichino</hi> und den frommen <hi rendition="#g">Raphael</hi>.</p><lb/>
          <p>Ich halte &#x017F;elb&#x017F;t die Andacht nur fu&#x0364;r einen<lb/>
abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes,<lb/>
der &#x017F;ich in tau&#x017F;end mannichfaltigen Farben<lb/>
bricht, und auf jede Stunde un&#x017F;ers Lebens Einen<lb/>
Funken wirft. &#x2014; Da mir die Augen nun dar-<lb/>
u&#x0364;ber geo&#x0364;fnet &#x017F;ind, will ich mich geduldig in<lb/>
mein Schick&#x017F;al ergeben, ich darf kein <hi rendition="#g">Engel</hi><lb/>
&#x017F;eyn, aber unge&#x017F;to&#x0364;rt will ich als <hi rendition="#g">Men&#x017F;ch</hi> da-<lb/>
hin wandeln, ich will mich hu&#x0364;ten, mir &#x017F;elb&#x017F;t um<lb/>
mein Da&#x017F;eyn a&#x0364;ng&#x017F;tigende Schranken zu ziehn. &#x2014;<lb/>
So i&#x017F;t mir der Name <hi rendition="#g">Amalie</hi> fremd geworden;<lb/>
war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe,<lb/>
etwas anders, als das rohe Streben nach ih-<lb/>
rem Be&#x017F;itze? ein Gefu&#x0364;hl, das wir uns von Ju-<lb/>
gend auf verku&#x0364;n&#x017F;teln, und uns das &#x017F;imple Ge-<lb/>
ma&#x0364;hlde un&#x017F;ers Lebens mit un&#x017F;innigen Arabesken<lb/>
verderben. &#x2014; Darum eben verachtet der Greis<lb/>
die&#x017F;e jugendlichen Aufwallungen und wilden<lb/>
Spru&#x0364;nge des Gefu&#x0364;hls, weil er zu gut erfahren<lb/>
hat, wohin &#x017F;ich alle die&#x017F;e gla&#x0364;nzende Meteore<lb/>
am Ende &#x017F;enken; &#x017F;ie fallen wieder wie Raketen<lb/>
zur Erde und verlo&#x0364;&#x017F;chen. &#x2014; Aber die&#x017F;e Grei&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0025] die groͤßten Dichter, und Titian und der muth- willige Correggio ſtehen weit uͤber Domi- nichino und den frommen Raphael. Ich halte ſelbſt die Andacht nur fuͤr einen abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes, der ſich in tauſend mannichfaltigen Farben bricht, und auf jede Stunde unſers Lebens Einen Funken wirft. — Da mir die Augen nun dar- uͤber geoͤfnet ſind, will ich mich geduldig in mein Schickſal ergeben, ich darf kein Engel ſeyn, aber ungeſtoͤrt will ich als Menſch da- hin wandeln, ich will mich huͤten, mir ſelbſt um mein Daſeyn aͤngſtigende Schranken zu ziehn. — So iſt mir der Name Amalie fremd geworden; war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe, etwas anders, als das rohe Streben nach ih- rem Beſitze? ein Gefuͤhl, das wir uns von Ju- gend auf verkuͤnſteln, und uns das ſimple Ge- maͤhlde unſers Lebens mit unſinnigen Arabesken verderben. — Darum eben verachtet der Greis dieſe jugendlichen Aufwallungen und wilden Spruͤnge des Gefuͤhls, weil er zu gut erfahren hat, wohin ſich alle dieſe glaͤnzende Meteore am Ende ſenken; ſie fallen wieder wie Raketen zur Erde und verloͤſchen. — Aber dieſe Greiſe B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/25
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/25>, abgerufen am 05.05.2024.