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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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len lieber die ganze Untersuchung fahren lassen,
so sehr der Mensch auch dahin neigt, alle seine
Empfindungen zu zergliedern, ob sie es gleich
nicht vertragen wollen.

Daß die meisten Leute in einem bejammerns-
würdigen Irrthume ihre Sinnlichkeit für hohe
Liebe und für das Ebenbild der Gottheit hal-
ten, ist gewiß, und hat mir selbst ehedem zu
manchen witzigen Einfällen Gelegenheit gegeben:
aber die Zeit ist jetzt vorüber, wo mir der hö-
here Mensch nicht denkbar war, der beide Em-
pfindungen in eine verbindet, und eben dadurch
beyde veredelt. Wenn der Mensch sich in kei-
ner Stunde durch diese Verbindung gestöhrt
fühlt, dann glaub' ich hat er seine schönste Vol-
lendung als Mann erhalten, er ist über niedri-
ger Wollust und über schaaler, fein ausgespon-
nener und langweiliger Zärtlichkeit gleich weit
erhaben.

Mein Landsitz begrüßte uns mit einem der
schönsten Tage, als wir hieher zogen, und das
Wetter ist sich seitdem fast gleich geblieben.
Ich lerne mich jetzt in die Reize des Landlebens
und einer schönen Einförmigkeit ein, die in der
Ferne oft so langweilig aussieht, aber nur des-

len lieber die ganze Unterſuchung fahren laſſen,
ſo ſehr der Menſch auch dahin neigt, alle ſeine
Empfindungen zu zergliedern, ob ſie es gleich
nicht vertragen wollen.

Daß die meiſten Leute in einem bejammerns-
wuͤrdigen Irrthume ihre Sinnlichkeit fuͤr hohe
Liebe und fuͤr das Ebenbild der Gottheit hal-
ten, iſt gewiß, und hat mir ſelbſt ehedem zu
manchen witzigen Einfaͤllen Gelegenheit gegeben:
aber die Zeit iſt jetzt voruͤber, wo mir der hoͤ-
here Menſch nicht denkbar war, der beide Em-
pfindungen in eine verbindet, und eben dadurch
beyde veredelt. Wenn der Menſch ſich in kei-
ner Stunde durch dieſe Verbindung geſtoͤhrt
fuͤhlt, dann glaub’ ich hat er ſeine ſchoͤnſte Vol-
lendung als Mann erhalten, er iſt uͤber niedri-
ger Wolluſt und uͤber ſchaaler, fein ausgeſpon-
nener und langweiliger Zaͤrtlichkeit gleich weit
erhaben.

Mein Landſitz begruͤßte uns mit einem der
ſchoͤnſten Tage, als wir hieher zogen, und das
Wetter iſt ſich ſeitdem faſt gleich geblieben.
Ich lerne mich jetzt in die Reize des Landlebens
und einer ſchoͤnen Einfoͤrmigkeit ein, die in der
Ferne oft ſo langweilig ausſieht, aber nur des-

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[244/0250] len lieber die ganze Unterſuchung fahren laſſen, ſo ſehr der Menſch auch dahin neigt, alle ſeine Empfindungen zu zergliedern, ob ſie es gleich nicht vertragen wollen. Daß die meiſten Leute in einem bejammerns- wuͤrdigen Irrthume ihre Sinnlichkeit fuͤr hohe Liebe und fuͤr das Ebenbild der Gottheit hal- ten, iſt gewiß, und hat mir ſelbſt ehedem zu manchen witzigen Einfaͤllen Gelegenheit gegeben: aber die Zeit iſt jetzt voruͤber, wo mir der hoͤ- here Menſch nicht denkbar war, der beide Em- pfindungen in eine verbindet, und eben dadurch beyde veredelt. Wenn der Menſch ſich in kei- ner Stunde durch dieſe Verbindung geſtoͤhrt fuͤhlt, dann glaub’ ich hat er ſeine ſchoͤnſte Vol- lendung als Mann erhalten, er iſt uͤber niedri- ger Wolluſt und uͤber ſchaaler, fein ausgeſpon- nener und langweiliger Zaͤrtlichkeit gleich weit erhaben. Mein Landſitz begruͤßte uns mit einem der ſchoͤnſten Tage, als wir hieher zogen, und das Wetter iſt ſich ſeitdem faſt gleich geblieben. Ich lerne mich jetzt in die Reize des Landlebens und einer ſchoͤnen Einfoͤrmigkeit ein, die in der Ferne oft ſo langweilig ausſieht, aber nur des-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/250>, abgerufen am 22.11.2024.