liehren. -- Wenn ich manchmal in der Abend- dämmerung sitze und über mich sinne, da ist es manchmal, als schwingt sich mir etwas im Her- zen empor, ein Gefühl, das mich überrascht und erschreckt und dabey doch so still und see- lig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedächt- niß, wie mit einer Hand darnach, um es mir selber aufzubewahren. Aber sonderbar, Rosa, es ist in mir, und verschwindet mir dann doch gänzlich wieder, so daß ich seiner nicht habhaft werden kann. Alle meine Gedanken stehn mir zu Gebot, alle meine Erinnerungen und An- schauungen; aber dies ist ein Gefühl, das fei- ner und geistiger ist, als alles übrige; aber was ist es und woher kömmt es und wohin geht es, wenn es nicht mehr in mir bleibt? -- Sollten diese Zustände vielleicht eben so in uns seyn, wie das Sonnenlicht in einer gläsernen Flasche, das kömmt und geht, so wie die Wolken ziehn; sie kann nichts dazu thun, und bildet sich doch vielleicht ein, alles wären nur Erleuchtungen, die sie willkührlich in sich selbst hervorbrächte.
Wie mag es überhaupt wohl um unsre Will- kühr stehn? Wer weiß, was es ist, was uns regelt und regiert, welcher Geist, der außer uns
liehren. — Wenn ich manchmal in der Abend- daͤmmerung ſitze und uͤber mich ſinne, da iſt es manchmal, als ſchwingt ſich mir etwas im Her- zen empor, ein Gefuͤhl, das mich uͤberraſcht und erſchreckt und dabey doch ſo ſtill und ſee- lig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedaͤcht- niß, wie mit einer Hand darnach, um es mir ſelber aufzubewahren. Aber ſonderbar, Roſa, es iſt in mir, und verſchwindet mir dann doch gaͤnzlich wieder, ſo daß ich ſeiner nicht habhaft werden kann. Alle meine Gedanken ſtehn mir zu Gebot, alle meine Erinnerungen und An- ſchauungen; aber dies iſt ein Gefuͤhl, das fei- ner und geiſtiger iſt, als alles uͤbrige; aber was iſt es und woher koͤmmt es und wohin geht es, wenn es nicht mehr in mir bleibt? — Sollten dieſe Zuſtaͤnde vielleicht eben ſo in uns ſeyn, wie das Sonnenlicht in einer glaͤſernen Flaſche, das koͤmmt und geht, ſo wie die Wolken ziehn; ſie kann nichts dazu thun, und bildet ſich doch vielleicht ein, alles waͤren nur Erleuchtungen, die ſie willkuͤhrlich in ſich ſelbſt hervorbraͤchte.
Wie mag es uͤberhaupt wohl um unſre Will- kuͤhr ſtehn? Wer weiß, was es iſt, was uns regelt und regiert, welcher Geiſt, der außer uns
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liehren. — Wenn ich manchmal in der Abend-
daͤmmerung ſitze und uͤber mich ſinne, da iſt es
manchmal, als ſchwingt ſich mir etwas im Her-
zen empor, ein Gefuͤhl, das mich uͤberraſcht
und erſchreckt und dabey doch ſo ſtill und ſee-
lig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedaͤcht-
niß, wie mit einer Hand darnach, um es mir
ſelber aufzubewahren. Aber ſonderbar, Roſa,
es iſt in mir, und verſchwindet mir dann doch
gaͤnzlich wieder, ſo daß ich ſeiner nicht habhaft
werden kann. Alle meine Gedanken ſtehn mir
zu Gebot, alle meine Erinnerungen und An-
ſchauungen; aber dies iſt ein Gefuͤhl, das fei-
ner und geiſtiger iſt, als alles uͤbrige; aber was
iſt es und woher koͤmmt es und wohin geht es,
wenn es nicht mehr in mir bleibt? — Sollten
dieſe Zuſtaͤnde vielleicht eben ſo in uns ſeyn,
wie das Sonnenlicht in einer glaͤſernen Flaſche,
das koͤmmt und geht, ſo wie die Wolken ziehn;
ſie kann nichts dazu thun, und bildet ſich doch
vielleicht ein, alles waͤren nur Erleuchtungen,
die ſie willkuͤhrlich in ſich ſelbſt hervorbraͤchte.
Wie mag es uͤberhaupt wohl um unſre Will-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/273>, abgerufen am 21.11.2024.
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