und ängstlich auf unser Todesurtheil warten? O wohl den Verworfenen, die bey Karten oder Wein, bey einer Dirne oder einem langweili- gen Buche sich und ihr Schicksal vergessen können!
Doch der schwarze Tag bricht endlich, end- lich herein. Er kann nicht ausbleiben. Alle vorhergehenden Tage waren nur Vorbereitungen zum letzten schrecklichen. Die finstre Parze fin- det endlich die Stelle, wo sie den Faden zer- reißt. -- O wehe uns, Rosa, daß wir geboren wurden!
O des klagenden Thoren! mit ohnmächtiger Kraft sperrt sich das arme Thier, in den Stall zu gehn, wo das schlachtende Messer seiner war- tet. Die Zeit, dieser unbarmherzige Henkers- knecht, schleppt Dich hinein, das Thor schlägt hinter Dir zu und Du stehst einsam unter dei- nen Mördern.
Was kann der Mensch wollen und vollbrin- gen? Was ist sein Thun und Streben? --
O daß wir wandern könnten in ein frem- des, andres Land; ausziehn aus der Knecht- schaft, in der uns unsre Menschheit gefangen hält!
Lovell. 2r Bd. X
und aͤngſtlich auf unſer Todesurtheil warten? O wohl den Verworfenen, die bey Karten oder Wein, bey einer Dirne oder einem langweili- gen Buche ſich und ihr Schickſal vergeſſen koͤnnen!
Doch der ſchwarze Tag bricht endlich, end- lich herein. Er kann nicht ausbleiben. Alle vorhergehenden Tage waren nur Vorbereitungen zum letzten ſchrecklichen. Die finſtre Parze fin- det endlich die Stelle, wo ſie den Faden zer- reißt. — O wehe uns, Roſa, daß wir geboren wurden!
O des klagenden Thoren! mit ohnmaͤchtiger Kraft ſperrt ſich das arme Thier, in den Stall zu gehn, wo das ſchlachtende Meſſer ſeiner war- tet. Die Zeit, dieſer unbarmherzige Henkers- knecht, ſchleppt Dich hinein, das Thor ſchlaͤgt hinter Dir zu und Du ſtehſt einſam unter dei- nen Moͤrdern.
Was kann der Menſch wollen und vollbrin- gen? Was iſt ſein Thun und Streben? —
O daß wir wandern koͤnnten in ein frem- des, andres Land; ausziehn aus der Knecht- ſchaft, in der uns unſre Menſchheit gefangen haͤlt!
Lovell. 2r Bd. X
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und aͤngſtlich auf unſer Todesurtheil warten?
O wohl den Verworfenen, die bey Karten oder
Wein, bey einer Dirne oder einem langweili-
gen Buche ſich und ihr Schickſal vergeſſen
koͤnnen!
Doch der ſchwarze Tag bricht endlich, end-
lich herein. Er kann nicht ausbleiben. Alle
vorhergehenden Tage waren nur Vorbereitungen
zum letzten ſchrecklichen. Die finſtre Parze fin-
det endlich die Stelle, wo ſie den Faden zer-
reißt. — O wehe uns, Roſa, daß wir geboren
wurden!
O des klagenden Thoren! mit ohnmaͤchtiger
Kraft ſperrt ſich das arme Thier, in den Stall
zu gehn, wo das ſchlachtende Meſſer ſeiner war-
tet. Die Zeit, dieſer unbarmherzige Henkers-
knecht, ſchleppt Dich hinein, das Thor ſchlaͤgt
hinter Dir zu und Du ſtehſt einſam unter dei-
nen Moͤrdern.
Was kann der Menſch wollen und vollbrin-
gen? Was iſt ſein Thun und Streben? —
O daß wir wandern koͤnnten in ein frem-
des, andres Land; ausziehn aus der Knecht-
ſchaft, in der uns unſre Menſchheit gefangen
haͤlt!
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/327>, abgerufen am 21.11.2024.
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