pietistisch. Die Mutter spottet über die Toch- ter, die Tochter zuckt die Achseln über ihre ir- religiöse Mutter. Beyden muß ich beytreten, um ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wie platt sind doch alle die Komödien, in denen eine ähnliche Situation dargestellt wird! Eine Karrikatur treibt sich immer zwischen allen mit schlecht erfundenen Lügen herum, um am Ende an allen seinen Spöttern zu scheitern. Ich finde es eben so leicht, als sicher, sich als Mittelsperson zwischen wiedersprechende Charak- tere einzuschieben, denn man muß sich jedem nur unter gewissen Bedingungen nähern, die aber so gestellt seyn müssen, daß jener glaubt, es komme nur auf eine nähere Bekanntschaft, auf ein vertraulicheres Gespräch an, um auch diese Bedingungen wegzuschaffen. Die Mutter glaubt, ich spiele nur aus Liebe zu ihrer Toch- ter den Religiösen und um diese nachher von ihren Irrthümern zurückzubringen; die Tochter ist überzeugt, nur aus großer Liebe zu ihr fin- de ich die Mutter erträglich. Man darf nur ernsthaft vor sich selber heucheln, so ist die Heucheley das leichteste Handwerk auf der Er- de. Alle unsere Gespräche in der Welt, unser
D d 2
pietiſtiſch. Die Mutter ſpottet uͤber die Toch- ter, die Tochter zuckt die Achſeln uͤber ihre ir- religioͤſe Mutter. Beyden muß ich beytreten, um ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wie platt ſind doch alle die Komoͤdien, in denen eine aͤhnliche Situation dargeſtellt wird! Eine Karrikatur treibt ſich immer zwiſchen allen mit ſchlecht erfundenen Luͤgen herum, um am Ende an allen ſeinen Spoͤttern zu ſcheitern. Ich finde es eben ſo leicht, als ſicher, ſich als Mittelsperſon zwiſchen wiederſprechende Charak- tere einzuſchieben, denn man muß ſich jedem nur unter gewiſſen Bedingungen naͤhern, die aber ſo geſtellt ſeyn muͤſſen, daß jener glaubt, es komme nur auf eine naͤhere Bekanntſchaft, auf ein vertraulicheres Geſpraͤch an, um auch dieſe Bedingungen wegzuſchaffen. Die Mutter glaubt, ich ſpiele nur aus Liebe zu ihrer Toch- ter den Religioͤſen und um dieſe nachher von ihren Irrthuͤmern zuruͤckzubringen; die Tochter iſt uͤberzeugt, nur aus großer Liebe zu ihr fin- de ich die Mutter ertraͤglich. Man darf nur ernſthaft vor ſich ſelber heucheln, ſo iſt die Heucheley das leichteſte Handwerk auf der Er- de. Alle unſere Geſpraͤche in der Welt, unſer
D d 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0425"n="419"/>
pietiſtiſch. Die Mutter ſpottet uͤber die Toch-<lb/>
ter, die Tochter zuckt die Achſeln uͤber ihre ir-<lb/>
religioͤſe Mutter. Beyden muß ich beytreten,<lb/>
um ihr Vertrauen zu gewinnen.</p><lb/><p>Wie platt ſind doch alle die Komoͤdien, in<lb/>
denen eine aͤhnliche Situation dargeſtellt wird!<lb/>
Eine Karrikatur treibt ſich immer zwiſchen allen<lb/>
mit ſchlecht erfundenen Luͤgen herum, um am<lb/>
Ende an allen ſeinen Spoͤttern zu ſcheitern.<lb/>
Ich finde es eben ſo leicht, als ſicher, ſich als<lb/>
Mittelsperſon zwiſchen wiederſprechende Charak-<lb/>
tere einzuſchieben, denn man muß ſich jedem<lb/>
nur unter gewiſſen Bedingungen naͤhern, die<lb/>
aber ſo geſtellt ſeyn muͤſſen, daß jener glaubt,<lb/>
es komme nur auf eine naͤhere Bekanntſchaft,<lb/>
auf ein vertraulicheres Geſpraͤch an, um auch<lb/>
dieſe Bedingungen wegzuſchaffen. Die Mutter<lb/>
glaubt, ich ſpiele nur aus Liebe zu ihrer Toch-<lb/>
ter den Religioͤſen und um dieſe nachher von<lb/>
ihren Irrthuͤmern zuruͤckzubringen; die Tochter<lb/>
iſt uͤberzeugt, nur aus großer Liebe zu ihr fin-<lb/>
de ich die Mutter ertraͤglich. Man darf nur<lb/>
ernſthaft vor ſich ſelber heucheln, ſo iſt die<lb/>
Heucheley das leichteſte Handwerk auf der Er-<lb/>
de. Alle unſere Geſpraͤche in der Welt, unſer<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D d 2</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[419/0425]
pietiſtiſch. Die Mutter ſpottet uͤber die Toch-
ter, die Tochter zuckt die Achſeln uͤber ihre ir-
religioͤſe Mutter. Beyden muß ich beytreten,
um ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wie platt ſind doch alle die Komoͤdien, in
denen eine aͤhnliche Situation dargeſtellt wird!
Eine Karrikatur treibt ſich immer zwiſchen allen
mit ſchlecht erfundenen Luͤgen herum, um am
Ende an allen ſeinen Spoͤttern zu ſcheitern.
Ich finde es eben ſo leicht, als ſicher, ſich als
Mittelsperſon zwiſchen wiederſprechende Charak-
tere einzuſchieben, denn man muß ſich jedem
nur unter gewiſſen Bedingungen naͤhern, die
aber ſo geſtellt ſeyn muͤſſen, daß jener glaubt,
es komme nur auf eine naͤhere Bekanntſchaft,
auf ein vertraulicheres Geſpraͤch an, um auch
dieſe Bedingungen wegzuſchaffen. Die Mutter
glaubt, ich ſpiele nur aus Liebe zu ihrer Toch-
ter den Religioͤſen und um dieſe nachher von
ihren Irrthuͤmern zuruͤckzubringen; die Tochter
iſt uͤberzeugt, nur aus großer Liebe zu ihr fin-
de ich die Mutter ertraͤglich. Man darf nur
ernſthaft vor ſich ſelber heucheln, ſo iſt die
Heucheley das leichteſte Handwerk auf der Er-
de. Alle unſere Geſpraͤche in der Welt, unſer
D d 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/425>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.