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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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sich um Thautropfen und Lilien mit Wohlbeha-
gen legen, als die sich an Felsen ansaugen müs-
sen, um mit einer ungeheuren Masse Ein We-
sen zu werden, damit sie sich selber interessiren.
Ich dachte Dich dahin zu lenken, wo ich zu
stehen glaubte, und Du bist nun, wie mit zu
stark gewachsenen Flügeln unwissend über das
Ziel hinausgeflogen, das ich Dir setzen wollte.

Wenn Dir jetzt Amalie und ihre Liebe so
abgeschmackt erscheint, in welchem Lichte muß
dann unsre Freundschaft vor Dir stehn? War
sie nicht auch ein Werk jugendlicher Begeiste-
rung, das Bedürfniß einer schönen Eingeschränkt-
heit des Gemüthes? War ich nicht etwas ei-
fersüchtig, als ich zuerst Deine Neigung zu
Amalien bemerkte? Betrübte ich mich nicht in-
nerlich
, daß Deine Liebe zu einem andern We-
sen sich nun unendlich höher hob, als zu mir? --
Ach Lieber, untersuche doch ums Himmelswillen
nicht die kleinen Widersprüche, die Kindereyen
und Albernheiten, die so oft in unsern edelsten
Neigungen und Gefühlen liegen. Es ist der
grüne duftlose Stengel der Blume, aber beide
können nur zusammen existiren. -- Was ist
der Mensch nach Deinen Ideen, die sich doch

ſich um Thautropfen und Lilien mit Wohlbeha-
gen legen, als die ſich an Felſen anſaugen muͤſ-
ſen, um mit einer ungeheuren Maſſe Ein We-
ſen zu werden, damit ſie ſich ſelber intereſſiren.
Ich dachte Dich dahin zu lenken, wo ich zu
ſtehen glaubte, und Du biſt nun, wie mit zu
ſtark gewachſenen Fluͤgeln unwiſſend uͤber das
Ziel hinausgeflogen, das ich Dir ſetzen wollte.

Wenn Dir jetzt Amalie und ihre Liebe ſo
abgeſchmackt erſcheint, in welchem Lichte muß
dann unſre Freundſchaft vor Dir ſtehn? War
ſie nicht auch ein Werk jugendlicher Begeiſte-
rung, das Beduͤrfniß einer ſchoͤnen Eingeſchraͤnkt-
heit des Gemuͤthes? War ich nicht etwas ei-
ferſuͤchtig, als ich zuerſt Deine Neigung zu
Amalien bemerkte? Betruͤbte ich mich nicht in-
nerlich
, daß Deine Liebe zu einem andern We-
ſen ſich nun unendlich hoͤher hob, als zu mir? —
Ach Lieber, unterſuche doch ums Himmelswillen
nicht die kleinen Widerſpruͤche, die Kindereyen
und Albernheiten, die ſo oft in unſern edelſten
Neigungen und Gefuͤhlen liegen. Es iſt der
gruͤne duftloſe Stengel der Blume, aber beide
koͤnnen nur zuſammen exiſtiren. — Was iſt
der Menſch nach Deinen Ideen, die ſich doch

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[92/0098] ſich um Thautropfen und Lilien mit Wohlbeha- gen legen, als die ſich an Felſen anſaugen muͤſ- ſen, um mit einer ungeheuren Maſſe Ein We- ſen zu werden, damit ſie ſich ſelber intereſſiren. Ich dachte Dich dahin zu lenken, wo ich zu ſtehen glaubte, und Du biſt nun, wie mit zu ſtark gewachſenen Fluͤgeln unwiſſend uͤber das Ziel hinausgeflogen, das ich Dir ſetzen wollte. Wenn Dir jetzt Amalie und ihre Liebe ſo abgeſchmackt erſcheint, in welchem Lichte muß dann unſre Freundſchaft vor Dir ſtehn? War ſie nicht auch ein Werk jugendlicher Begeiſte- rung, das Beduͤrfniß einer ſchoͤnen Eingeſchraͤnkt- heit des Gemuͤthes? War ich nicht etwas ei- ferſuͤchtig, als ich zuerſt Deine Neigung zu Amalien bemerkte? Betruͤbte ich mich nicht in- nerlich, daß Deine Liebe zu einem andern We- ſen ſich nun unendlich hoͤher hob, als zu mir? — Ach Lieber, unterſuche doch ums Himmelswillen nicht die kleinen Widerſpruͤche, die Kindereyen und Albernheiten, die ſo oft in unſern edelſten Neigungen und Gefuͤhlen liegen. Es iſt der gruͤne duftloſe Stengel der Blume, aber beide koͤnnen nur zuſammen exiſtiren. — Was iſt der Menſch nach Deinen Ideen, die ſich doch

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/98>, abgerufen am 21.11.2024.