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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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schen las, für einen ganz vorzüglichen Geist.
Ich traute keiner andern Brust die Empfindun-
gen zu, die wie eine sanftwechselnde Musik in
meinem Herzen auf und niederstiegen. Diese
Vorstellungen hoben mich über die ganze Natur
hinaus, ich vergaß alle Dürftigkeiten des Le-
bens und war nur in reinen Strahlen ein-
heimisch.

Fast jeden Menschen beherrscht in der Zeit,
wenn er vom Kinde zum Jünglinge übergeht,
ein hoher Enthusiasmus; der ist glücklich, der
sehr schnell den Zirkel aller täuschenden Empfin-
dungen durchläuft, um endlich, wenn er die
Runde gemacht hat, sich selber anzutreffen.
Die hohe Reizbarkeit dient dazu, uns in tau-
send Thorheiten zu verwickeln, aber auch, uns
über diese Thorheiten zu belehren; je feinere
Sinnlichkeit ein Mensch besitzt, um so eher ist
es ihm möglich, recht früh klug zu werden.

Ich möchte den jugendlichen Enthusiasmus,
so wie manches Andre im Menschen, nichts als
eine Anlage nennen, die sich zur Geschicklich-
keit ausbilden läßt. Es ist eine Kunst, die
man sich durch Uebung erwirbt, keine von den
Armseeligkeiten zu erblicken, die uns in der

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ſchen las, fuͤr einen ganz vorzuͤglichen Geiſt.
Ich traute keiner andern Bruſt die Empfindun-
gen zu, die wie eine ſanftwechſelnde Muſik in
meinem Herzen auf und niederſtiegen. Dieſe
Vorſtellungen hoben mich uͤber die ganze Natur
hinaus, ich vergaß alle Duͤrftigkeiten des Le-
bens und war nur in reinen Strahlen ein-
heimiſch.

Faſt jeden Menſchen beherrſcht in der Zeit,
wenn er vom Kinde zum Juͤnglinge uͤbergeht,
ein hoher Enthuſiasmus; der iſt gluͤcklich, der
ſehr ſchnell den Zirkel aller taͤuſchenden Empfin-
dungen durchlaͤuft, um endlich, wenn er die
Runde gemacht hat, ſich ſelber anzutreffen.
Die hohe Reizbarkeit dient dazu, uns in tau-
ſend Thorheiten zu verwickeln, aber auch, uns
uͤber dieſe Thorheiten zu belehren; je feinere
Sinnlichkeit ein Menſch beſitzt, um ſo eher iſt
es ihm moͤglich, recht fruͤh klug zu werden.

Ich moͤchte den jugendlichen Enthuſiasmus,
ſo wie manches Andre im Menſchen, nichts als
eine Anlage nennen, die ſich zur Geſchicklich-
keit ausbilden laͤßt. Es iſt eine Kunſt, die
man ſich durch Uebung erwirbt, keine von den
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[403/0410] ſchen las, fuͤr einen ganz vorzuͤglichen Geiſt. Ich traute keiner andern Bruſt die Empfindun- gen zu, die wie eine ſanftwechſelnde Muſik in meinem Herzen auf und niederſtiegen. Dieſe Vorſtellungen hoben mich uͤber die ganze Natur hinaus, ich vergaß alle Duͤrftigkeiten des Le- bens und war nur in reinen Strahlen ein- heimiſch. Faſt jeden Menſchen beherrſcht in der Zeit, wenn er vom Kinde zum Juͤnglinge uͤbergeht, ein hoher Enthuſiasmus; der iſt gluͤcklich, der ſehr ſchnell den Zirkel aller taͤuſchenden Empfin- dungen durchlaͤuft, um endlich, wenn er die Runde gemacht hat, ſich ſelber anzutreffen. Die hohe Reizbarkeit dient dazu, uns in tau- ſend Thorheiten zu verwickeln, aber auch, uns uͤber dieſe Thorheiten zu belehren; je feinere Sinnlichkeit ein Menſch beſitzt, um ſo eher iſt es ihm moͤglich, recht fruͤh klug zu werden. Ich moͤchte den jugendlichen Enthuſiasmus, ſo wie manches Andre im Menſchen, nichts als eine Anlage nennen, die ſich zur Geſchicklich- keit ausbilden laͤßt. Es iſt eine Kunſt, die man ſich durch Uebung erwirbt, keine von den Armſeeligkeiten zu erblicken, die uns in der C c 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/410>, abgerufen am 22.11.2024.