Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. gen möchte ich ausrufen: laßt sie zu uns, inunsre Arme, in unsre Herzen kommen, daß un- ser Reichthum noch reicher werde! Könnt ihr euch aber mit dem Glauben vertragen, daß sie vielleicht hülflos, auf lange in Wüsten hinaus gestoßen sind, o so laßt ihnen einige Tropfen von der Ueberfülle eurer Lust zufließen! Aber nein, du theurer geliebter Abgeschiedener, in die- sen Empfindungen fühl' ich mich zu dir in den Zustand deiner Ruhe und Freude hinüber, und du bist mehr der meine, als nur je in diesem irdischen Leben, denn neben meiner ganzen Liebe gehört dir nun auch mein höchster Schmerz um dich, jener namenlose, unbegreifliche, jenes angst- vollste Ringen mit dem fürchterlichsten Zweifel, als ob ich dich auf ewig verloren hätte; da hat meine Liebe erst alle ihre Kräfte aufrufen und erkennen müssen, da hab ich dich erst im Triumph dem Tode abgewonnen, um dich nie mehr zu verlieren, und seitdem bist du ohne Wandel, ohne Krankheit, ohne Mißverständ- niß mein, und lächelst jedes Lächeln mit, und schwimmst in jeder Thräne: wo kann ich dich besser herbergen, als in diesem Herzen, wenn es der Freude geöffnet ist? Mit diesem Gaste sprech' ich nicht mehr zu ihr: was willst du? oder: du bist toll! denn sie ist durch deine holde Gegenwart edler, milder und menschlicher. Clara weinte, und Anton überließ sich seiner Einleitung. gen moͤchte ich ausrufen: laßt ſie zu uns, inunſre Arme, in unſre Herzen kommen, daß un- ſer Reichthum noch reicher werde! Koͤnnt ihr euch aber mit dem Glauben vertragen, daß ſie vielleicht huͤlflos, auf lange in Wuͤſten hinaus geſtoßen ſind, o ſo laßt ihnen einige Tropfen von der Ueberfuͤlle eurer Luſt zufließen! Aber nein, du theurer geliebter Abgeſchiedener, in die- ſen Empfindungen fuͤhl' ich mich zu dir in den Zuſtand deiner Ruhe und Freude hinuͤber, und du biſt mehr der meine, als nur je in dieſem irdiſchen Leben, denn neben meiner ganzen Liebe gehoͤrt dir nun auch mein hoͤchſter Schmerz um dich, jener namenloſe, unbegreifliche, jenes angſt- vollſte Ringen mit dem fuͤrchterlichſten Zweifel, als ob ich dich auf ewig verloren haͤtte; da hat meine Liebe erſt alle ihre Kraͤfte aufrufen und erkennen muͤſſen, da hab ich dich erſt im Triumph dem Tode abgewonnen, um dich nie mehr zu verlieren, und ſeitdem biſt du ohne Wandel, ohne Krankheit, ohne Mißverſtaͤnd- niß mein, und laͤchelſt jedes Laͤcheln mit, und ſchwimmſt in jeder Thraͤne: wo kann ich dich beſſer herbergen, als in dieſem Herzen, wenn es der Freude geoͤffnet iſt? Mit dieſem Gaſte ſprech' ich nicht mehr zu ihr: was willſt du? oder: du biſt toll! denn ſie iſt durch deine holde Gegenwart edler, milder und menſchlicher. Clara weinte, und Anton uͤberließ ſich ſeiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0118" n="107"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> gen moͤchte ich ausrufen: laßt ſie zu uns, in<lb/> unſre Arme, in unſre Herzen kommen, daß un-<lb/> ſer Reichthum noch reicher werde! Koͤnnt ihr<lb/> euch aber mit dem Glauben vertragen, daß ſie<lb/> vielleicht huͤlflos, auf lange in Wuͤſten hinaus<lb/> geſtoßen ſind, o ſo laßt ihnen einige Tropfen<lb/> von der Ueberfuͤlle eurer Luſt zufließen! Aber<lb/> nein, du theurer geliebter Abgeſchiedener, in die-<lb/> ſen Empfindungen fuͤhl' ich mich zu dir in den<lb/> Zuſtand deiner Ruhe und Freude hinuͤber, und<lb/> du biſt mehr der meine, als nur je in dieſem<lb/> irdiſchen Leben, denn neben meiner ganzen Liebe<lb/> gehoͤrt dir nun auch mein hoͤchſter Schmerz um<lb/> dich, jener namenloſe, unbegreifliche, jenes angſt-<lb/> vollſte Ringen mit dem fuͤrchterlichſten Zweifel,<lb/> als ob ich dich auf ewig verloren haͤtte; da<lb/> hat meine Liebe erſt alle ihre Kraͤfte aufrufen<lb/> und erkennen muͤſſen, da hab ich dich erſt im<lb/> Triumph dem Tode abgewonnen, um dich nie<lb/> mehr zu verlieren, und ſeitdem biſt du ohne<lb/> Wandel, ohne Krankheit, ohne Mißverſtaͤnd-<lb/> niß mein, und laͤchelſt jedes Laͤcheln mit, und<lb/> ſchwimmſt in jeder Thraͤne: wo kann ich dich<lb/> beſſer herbergen, als in dieſem Herzen, wenn<lb/> es der Freude geoͤffnet iſt? Mit dieſem Gaſte<lb/> ſprech' ich nicht mehr zu ihr: was willſt du?<lb/> oder: du biſt toll! denn ſie iſt durch deine holde<lb/> Gegenwart edler, milder und menſchlicher.</p><lb/> <p>Clara weinte, und Anton uͤberließ ſich ſeiner<lb/> Wehmuth. Hoͤre auf, rief dieſer, ich fuͤhle dieſe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [107/0118]
Einleitung.
gen moͤchte ich ausrufen: laßt ſie zu uns, in
unſre Arme, in unſre Herzen kommen, daß un-
ſer Reichthum noch reicher werde! Koͤnnt ihr
euch aber mit dem Glauben vertragen, daß ſie
vielleicht huͤlflos, auf lange in Wuͤſten hinaus
geſtoßen ſind, o ſo laßt ihnen einige Tropfen
von der Ueberfuͤlle eurer Luſt zufließen! Aber
nein, du theurer geliebter Abgeſchiedener, in die-
ſen Empfindungen fuͤhl' ich mich zu dir in den
Zuſtand deiner Ruhe und Freude hinuͤber, und
du biſt mehr der meine, als nur je in dieſem
irdiſchen Leben, denn neben meiner ganzen Liebe
gehoͤrt dir nun auch mein hoͤchſter Schmerz um
dich, jener namenloſe, unbegreifliche, jenes angſt-
vollſte Ringen mit dem fuͤrchterlichſten Zweifel,
als ob ich dich auf ewig verloren haͤtte; da
hat meine Liebe erſt alle ihre Kraͤfte aufrufen
und erkennen muͤſſen, da hab ich dich erſt im
Triumph dem Tode abgewonnen, um dich nie
mehr zu verlieren, und ſeitdem biſt du ohne
Wandel, ohne Krankheit, ohne Mißverſtaͤnd-
niß mein, und laͤchelſt jedes Laͤcheln mit, und
ſchwimmſt in jeder Thraͤne: wo kann ich dich
beſſer herbergen, als in dieſem Herzen, wenn
es der Freude geoͤffnet iſt? Mit dieſem Gaſte
ſprech' ich nicht mehr zu ihr: was willſt du?
oder: du biſt toll! denn ſie iſt durch deine holde
Gegenwart edler, milder und menſchlicher.
Clara weinte, und Anton uͤberließ ſich ſeiner
Wehmuth. Hoͤre auf, rief dieſer, ich fuͤhle dieſe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |