Warum, fuhr Manfred fort, würde denn die Liebe allmächtig genannt? Sie wäre ja ohn- mächtig, wenn sie nicht die scheinbar äußersten Enden freundlich verknüpfen könnte. Könnte sie den unendlich mannigfaltigen Zauber denn wohl ausüben, wenn sie nicht Alles besäße, und sich nicht, eben wie die Geliebte, mit allen Reizen dem sehnsüchtigen Herzen ergäbe? Der verdor- bene Mensch kann deshalb auch nicht den Scherz der Liebe und ihren Dichter verstehn, er faßt nicht das holde Wesen, welches sich dem Höch- sten und Geistigsten zum scheinbaren Kampfe gegenüber stellt, so sehr er auch einzig diesem Spiele nachjagt, welches begeisterte Dichter damit trieben, und der Liebende kennt freilich nichts Verhaßteres als diese Menschen und ihre Ge- sinnungen, die im Herzen seines Lebens mit ihm zusammen zu treffen scheinen.
Daher, sagte Ernst, der mißverstandene Spott dieser niedrigen Menschen über die Hochgestimm- ten und ihre Liebe, daher die scheinbare Waffen- losigkeit dieser Unschuldigen, und bei ihrem Reich- thum ihre unbeholfene Beschämung von jenen Bettlern. Diese Uneingeweihten lästern die Liebe und alles Göttliche, und sind von allem Scherz und Spiel, auch wenn sie witzig zu sein schei- nen, weit entfernt, denn sie sind in Kampf und Krieg gegen die Sehnsucht nach dem Ueberirdi- schen. Um nun auf das Vorige einzulenken, so lebte Boccaz freilich schon an der Gränze
Einleitung.
Warum, fuhr Manfred fort, wuͤrde denn die Liebe allmaͤchtig genannt? Sie waͤre ja ohn- maͤchtig, wenn ſie nicht die ſcheinbar aͤußerſten Enden freundlich verknuͤpfen koͤnnte. Koͤnnte ſie den unendlich mannigfaltigen Zauber denn wohl ausuͤben, wenn ſie nicht Alles beſaͤße, und ſich nicht, eben wie die Geliebte, mit allen Reizen dem ſehnſuͤchtigen Herzen ergaͤbe? Der verdor- bene Menſch kann deshalb auch nicht den Scherz der Liebe und ihren Dichter verſtehn, er faßt nicht das holde Weſen, welches ſich dem Hoͤch- ſten und Geiſtigſten zum ſcheinbaren Kampfe gegenuͤber ſtellt, ſo ſehr er auch einzig dieſem Spiele nachjagt, welches begeiſterte Dichter damit trieben, und der Liebende kennt freilich nichts Verhaßteres als dieſe Menſchen und ihre Ge- ſinnungen, die im Herzen ſeines Lebens mit ihm zuſammen zu treffen ſcheinen.
Daher, ſagte Ernſt, der mißverſtandene Spott dieſer niedrigen Menſchen uͤber die Hochgeſtimm- ten und ihre Liebe, daher die ſcheinbare Waffen- loſigkeit dieſer Unſchuldigen, und bei ihrem Reich- thum ihre unbeholfene Beſchaͤmung von jenen Bettlern. Dieſe Uneingeweihten laͤſtern die Liebe und alles Goͤttliche, und ſind von allem Scherz und Spiel, auch wenn ſie witzig zu ſein ſchei- nen, weit entfernt, denn ſie ſind in Kampf und Krieg gegen die Sehnſucht nach dem Ueberirdi- ſchen. Um nun auf das Vorige einzulenken, ſo lebte Boccaz freilich ſchon an der Graͤnze
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Einleitung.
Warum, fuhr Manfred fort, wuͤrde denn
die Liebe allmaͤchtig genannt? Sie waͤre ja ohn-
maͤchtig, wenn ſie nicht die ſcheinbar aͤußerſten
Enden freundlich verknuͤpfen koͤnnte. Koͤnnte ſie
den unendlich mannigfaltigen Zauber denn wohl
ausuͤben, wenn ſie nicht Alles beſaͤße, und ſich
nicht, eben wie die Geliebte, mit allen Reizen
dem ſehnſuͤchtigen Herzen ergaͤbe? Der verdor-
bene Menſch kann deshalb auch nicht den Scherz
der Liebe und ihren Dichter verſtehn, er faßt
nicht das holde Weſen, welches ſich dem Hoͤch-
ſten und Geiſtigſten zum ſcheinbaren Kampfe
gegenuͤber ſtellt, ſo ſehr er auch einzig dieſem
Spiele nachjagt, welches begeiſterte Dichter damit
trieben, und der Liebende kennt freilich nichts
Verhaßteres als dieſe Menſchen und ihre Ge-
ſinnungen, die im Herzen ſeines Lebens mit ihm
zuſammen zu treffen ſcheinen.
Daher, ſagte Ernſt, der mißverſtandene Spott
dieſer niedrigen Menſchen uͤber die Hochgeſtimm-
ten und ihre Liebe, daher die ſcheinbare Waffen-
loſigkeit dieſer Unſchuldigen, und bei ihrem Reich-
thum ihre unbeholfene Beſchaͤmung von jenen
Bettlern. Dieſe Uneingeweihten laͤſtern die Liebe
und alles Goͤttliche, und ſind von allem Scherz
und Spiel, auch wenn ſie witzig zu ſein ſchei-
nen, weit entfernt, denn ſie ſind in Kampf und
Krieg gegen die Sehnſucht nach dem Ueberirdi-
ſchen. Um nun auf das Vorige einzulenken,
ſo lebte Boccaz freilich ſchon an der Graͤnze
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/136>, abgerufen am 21.11.2024.
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