ihr nacheilen, aber seine Augen fanden sie nicht mehr.
Indem zog etwas Glänzendes seine Blicke in das grüne Gras nieder. Er hob es auf, und sahe die magische Tafel mit den farbigen Edelgesteinen, mit der seltsamen Figur wieder, die er vor so man- chem Jahr verloren hatte. Die Gestalt und die bunten Lichter drückten mit der plötzlichsten Gewalt auf alle seine Sinne. Er faßte sie recht fest an, um sich zu überzeugen, daß er sie wieder in seinen Händen halte, und eilte dann damit nach dem Dorfe zurück. Der Vater begegnete ihm. Seht, rief er ihm zu, das, wovon ich euch so oft erzählt habe, was ich nur im Traum zu sehn glaubte, ist jetzt gewiß und wahrhaftig mein. Der Alte betrach- tete die Tafel lange und sagte: mein Sohn, mir schaudert recht im Herzen, wenn ich die Linea- mente dieser Steine betrachte und ahnend den Sinn dieser Wortfügung errathe; sieh her, wie kalt sie funkeln, welche grausame Blicke sie von sich geben, blutdürstig, wie das rothe Auge des Tiegers. Wirf diese Schrift weg, die dich kalt und grausam macht, die dein Herz versteinern muß:
Sieh die zarten Blüthen keimen, Wie sie aus sich selbst erwachen, Und wie Kinder aus den Träumen Dir entgegen lieblich lachen.
Ihre Farbe ist im Spielen Zugekehrt der goldnen Sonne, Deren heißen Kuß zu fühlen, Das ist ihre höchste Wonne,
Der Runenberg.
ihr nacheilen, aber ſeine Augen fanden ſie nicht mehr.
Indem zog etwas Glaͤnzendes ſeine Blicke in das gruͤne Gras nieder. Er hob es auf, und ſahe die magiſche Tafel mit den farbigen Edelgeſteinen, mit der ſeltſamen Figur wieder, die er vor ſo man- chem Jahr verloren hatte. Die Geſtalt und die bunten Lichter druͤckten mit der ploͤtzlichſten Gewalt auf alle ſeine Sinne. Er faßte ſie recht feſt an, um ſich zu uͤberzeugen, daß er ſie wieder in ſeinen Haͤnden halte, und eilte dann damit nach dem Dorfe zuruͤck. Der Vater begegnete ihm. Seht, rief er ihm zu, das, wovon ich euch ſo oft erzaͤhlt habe, was ich nur im Traum zu ſehn glaubte, iſt jetzt gewiß und wahrhaftig mein. Der Alte betrach- tete die Tafel lange und ſagte: mein Sohn, mir ſchaudert recht im Herzen, wenn ich die Linea- mente dieſer Steine betrachte und ahnend den Sinn dieſer Wortfuͤgung errathe; ſieh her, wie kalt ſie funkeln, welche grauſame Blicke ſie von ſich geben, blutduͤrſtig, wie das rothe Auge des Tiegers. Wirf dieſe Schrift weg, die dich kalt und grauſam macht, die dein Herz verſteinern muß:
Sieh die zarten Bluͤthen keimen, Wie ſie aus ſich ſelbſt erwachen, Und wie Kinder aus den Traͤumen Dir entgegen lieblich lachen.
Ihre Farbe iſt im Spielen Zugekehrt der goldnen Sonne, Deren heißen Kuß zu fuͤhlen, Das iſt ihre hoͤchſte Wonne,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0278"n="267"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Der Runenberg</hi>.</fw><lb/>
ihr nacheilen, aber ſeine Augen fanden ſie nicht<lb/>
mehr.</p><lb/><p>Indem zog etwas Glaͤnzendes ſeine Blicke in<lb/>
das gruͤne Gras nieder. Er hob es auf, und ſahe<lb/>
die magiſche Tafel mit den farbigen Edelgeſteinen,<lb/>
mit der ſeltſamen Figur wieder, die er vor ſo man-<lb/>
chem Jahr verloren hatte. Die Geſtalt und die<lb/>
bunten Lichter druͤckten mit der ploͤtzlichſten Gewalt<lb/>
auf alle ſeine Sinne. Er faßte ſie recht feſt an,<lb/>
um ſich zu uͤberzeugen, daß er ſie wieder in ſeinen<lb/>
Haͤnden halte, und eilte dann damit nach dem<lb/>
Dorfe zuruͤck. Der Vater begegnete ihm. Seht,<lb/>
rief er ihm zu, das, wovon ich euch ſo oft erzaͤhlt<lb/>
habe, was ich nur im Traum zu ſehn glaubte, iſt<lb/>
jetzt gewiß und wahrhaftig mein. Der Alte betrach-<lb/>
tete die Tafel lange und ſagte: mein Sohn, mir<lb/>ſchaudert recht im Herzen, wenn ich die Linea-<lb/>
mente dieſer Steine betrachte und ahnend den<lb/>
Sinn dieſer Wortfuͤgung errathe; ſieh her, wie<lb/>
kalt ſie funkeln, welche grauſame Blicke ſie von<lb/>ſich geben, blutduͤrſtig, wie das rothe Auge des<lb/>
Tiegers. Wirf dieſe Schrift weg, die dich kalt<lb/>
und grauſam macht, die dein Herz verſteinern muß:</p><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Sieh die zarten Bluͤthen keimen,</l><lb/><l>Wie ſie aus ſich ſelbſt erwachen,</l><lb/><l>Und wie Kinder aus den Traͤumen</l><lb/><l>Dir entgegen lieblich lachen.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Ihre Farbe iſt im Spielen</l><lb/><l>Zugekehrt der goldnen Sonne,</l><lb/><l>Deren heißen Kuß zu fuͤhlen,</l><lb/><l>Das iſt ihre hoͤchſte Wonne,</l></lg><lb/></lg></div></div></body></text></TEI>
[267/0278]
Der Runenberg.
ihr nacheilen, aber ſeine Augen fanden ſie nicht
mehr.
Indem zog etwas Glaͤnzendes ſeine Blicke in
das gruͤne Gras nieder. Er hob es auf, und ſahe
die magiſche Tafel mit den farbigen Edelgeſteinen,
mit der ſeltſamen Figur wieder, die er vor ſo man-
chem Jahr verloren hatte. Die Geſtalt und die
bunten Lichter druͤckten mit der ploͤtzlichſten Gewalt
auf alle ſeine Sinne. Er faßte ſie recht feſt an,
um ſich zu uͤberzeugen, daß er ſie wieder in ſeinen
Haͤnden halte, und eilte dann damit nach dem
Dorfe zuruͤck. Der Vater begegnete ihm. Seht,
rief er ihm zu, das, wovon ich euch ſo oft erzaͤhlt
habe, was ich nur im Traum zu ſehn glaubte, iſt
jetzt gewiß und wahrhaftig mein. Der Alte betrach-
tete die Tafel lange und ſagte: mein Sohn, mir
ſchaudert recht im Herzen, wenn ich die Linea-
mente dieſer Steine betrachte und ahnend den
Sinn dieſer Wortfuͤgung errathe; ſieh her, wie
kalt ſie funkeln, welche grauſame Blicke ſie von
ſich geben, blutduͤrſtig, wie das rothe Auge des
Tiegers. Wirf dieſe Schrift weg, die dich kalt
und grauſam macht, die dein Herz verſteinern muß:
Sieh die zarten Bluͤthen keimen,
Wie ſie aus ſich ſelbſt erwachen,
Und wie Kinder aus den Traͤumen
Dir entgegen lieblich lachen.
Ihre Farbe iſt im Spielen
Zugekehrt der goldnen Sonne,
Deren heißen Kuß zu fuͤhlen,
Das iſt ihre hoͤchſte Wonne,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/278>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.