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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Der Runenberg.
ler Anstrengung gelangte der Vater an den alten
Schacht; er sah die Fußstapfen im Sande am Ein-
gange eingedrückt, und kehrte weinend um, in der
Ueberzeugung, daß sein Sohn im Wahnsinn hin-
ein gegangen, und in alte gesammelte Wässer und
Untiefen versunken sey.

Seitdem war er unaufhörlich betrübt und in
Thränen. Das ganze Dorf trauerte um den jun-
gen Pachter, Elisabeth war untröstlich, die Kinder
jammerten laut. Nach einem halben Jahre war
der alte Vater gestorben, Elisabeths Eltern folg-
ten ihm bald nach, und sie mußte die große Wirth-
schaft allein verwalten. Die angehäuften Geschäfte
entfernten sie etwas von ihrem Kummer, die Er-
ziehung der Kinder, die Bewirthschaftung des Gu-
tes ließen ihr für Sorge und Gram keine Zeit
übrig. So entschloß sie sich nach zwei Jahren zu
einer neuen Heirath, sie gab ihre Hand einem jun-
gen heitern Manne, der sie von Jugend auf geliebt
hatte. Aber bald gewann alles im Hause eine
andre Gestalt. Das Vieh starb, Knechte und
Mägde waren untreu, Scheuren mit Früchten wur-
den vom Feuer verzehrt, Leute in der Stadt, bei
welchen Summen standen, entwichen mit dem Gelde.
Bald sah sich der Wirth genöthigt, einige Aecker
und Wiesen zu verkaufen; aber ein Mißwachs und
theures Jahr brachten ihn nur in neue Verlegen-
heit. Es schien nicht anders, als wenn das so
wunderbar erworbene Geld auf allen Wegen eine
schleunige Flucht suchte; indessen mehrten sich die
Kinder, und Elisabeth sowohl als ihr Mann wur-

Der Runenberg.
ler Anſtrengung gelangte der Vater an den alten
Schacht; er ſah die Fußſtapfen im Sande am Ein-
gange eingedruͤckt, und kehrte weinend um, in der
Ueberzeugung, daß ſein Sohn im Wahnſinn hin-
ein gegangen, und in alte geſammelte Waͤſſer und
Untiefen verſunken ſey.

Seitdem war er unaufhoͤrlich betruͤbt und in
Thraͤnen. Das ganze Dorf trauerte um den jun-
gen Pachter, Eliſabeth war untroͤſtlich, die Kinder
jammerten laut. Nach einem halben Jahre war
der alte Vater geſtorben, Eliſabeths Eltern folg-
ten ihm bald nach, und ſie mußte die große Wirth-
ſchaft allein verwalten. Die angehaͤuften Geſchaͤfte
entfernten ſie etwas von ihrem Kummer, die Er-
ziehung der Kinder, die Bewirthſchaftung des Gu-
tes ließen ihr fuͤr Sorge und Gram keine Zeit
uͤbrig. So entſchloß ſie ſich nach zwei Jahren zu
einer neuen Heirath, ſie gab ihre Hand einem jun-
gen heitern Manne, der ſie von Jugend auf geliebt
hatte. Aber bald gewann alles im Hauſe eine
andre Geſtalt. Das Vieh ſtarb, Knechte und
Maͤgde waren untreu, Scheuren mit Fruͤchten wur-
den vom Feuer verzehrt, Leute in der Stadt, bei
welchen Summen ſtanden, entwichen mit dem Gelde.
Bald ſah ſich der Wirth genoͤthigt, einige Aecker
und Wieſen zu verkaufen; aber ein Mißwachs und
theures Jahr brachten ihn nur in neue Verlegen-
heit. Es ſchien nicht anders, als wenn das ſo
wunderbar erworbene Geld auf allen Wegen eine
ſchleunige Flucht ſuchte; indeſſen mehrten ſich die
Kinder, und Eliſabeth ſowohl als ihr Mann wur-

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[269/0280] Der Runenberg. ler Anſtrengung gelangte der Vater an den alten Schacht; er ſah die Fußſtapfen im Sande am Ein- gange eingedruͤckt, und kehrte weinend um, in der Ueberzeugung, daß ſein Sohn im Wahnſinn hin- ein gegangen, und in alte geſammelte Waͤſſer und Untiefen verſunken ſey. Seitdem war er unaufhoͤrlich betruͤbt und in Thraͤnen. Das ganze Dorf trauerte um den jun- gen Pachter, Eliſabeth war untroͤſtlich, die Kinder jammerten laut. Nach einem halben Jahre war der alte Vater geſtorben, Eliſabeths Eltern folg- ten ihm bald nach, und ſie mußte die große Wirth- ſchaft allein verwalten. Die angehaͤuften Geſchaͤfte entfernten ſie etwas von ihrem Kummer, die Er- ziehung der Kinder, die Bewirthſchaftung des Gu- tes ließen ihr fuͤr Sorge und Gram keine Zeit uͤbrig. So entſchloß ſie ſich nach zwei Jahren zu einer neuen Heirath, ſie gab ihre Hand einem jun- gen heitern Manne, der ſie von Jugend auf geliebt hatte. Aber bald gewann alles im Hauſe eine andre Geſtalt. Das Vieh ſtarb, Knechte und Maͤgde waren untreu, Scheuren mit Fruͤchten wur- den vom Feuer verzehrt, Leute in der Stadt, bei welchen Summen ſtanden, entwichen mit dem Gelde. Bald ſah ſich der Wirth genoͤthigt, einige Aecker und Wieſen zu verkaufen; aber ein Mißwachs und theures Jahr brachten ihn nur in neue Verlegen- heit. Es ſchien nicht anders, als wenn das ſo wunderbar erworbene Geld auf allen Wegen eine ſchleunige Flucht ſuchte; indeſſen mehrten ſich die Kinder, und Eliſabeth ſowohl als ihr Mann wur-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/280>, abgerufen am 22.11.2024.