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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.

Murrend suchte Emil den Mantel aus dem
Schranke, gab ihn dem Aufgestandenen, und zwang
sich zu einem ironischen Lächeln. Da hast du mei-
nen türkischen Dolch, den ich gestern gekauft habe,
sagte Roderich, indem er sich einhüllte, heb' ihn
auf; es taugt nicht, dergleichen ernsthaftes Zeug
als Spielerei bei sich zu haben, man kann denn
doch nicht wissen, wozu es gemißbraucht würde,
wenn Zank oder anderer Unfug die Gelegenheit
herbei führte; morgen sehn wir uns wieder, lebe
wohl und bleibe vergnügt. Er wartete auf keine
Erwiederung, sondern eilte die Treppe hinunter.

Als Emil allein war, suchte er seinen Zorn
zu vergessen und das Betragen seines Freundes
von der lächerlichen Seite zu nehmen. Er betrach-
tete den blanken schön gearbeiteten Dolch, und sagte:
wie muß es doch dem Menschen seyn, der solch
scharfes Eisen in die Brust des Gegners stößt,
oder gar einen geliebten Gegenstand damit verlezt?
Er schloß ihn ein, lehnte dann behutsam die Lä-
den seines Fensters zurück und sah über die enge
Gasse. Aber kein Licht regte sich, es war finster
im Hause gegenüber; die theure Gestalt, die dort
wohnte und sich um diese Zeit bei häuslicher Be-
schäftigung zu zeigen pflegte, schien entfernt. Viel-
leicht gar auf dem Balle! dachte Emil, so wenig
es auch ihrer eingezogenen Lebensart ziemte. Plöz-
lich aber zeigte sich ein Licht, und die Kleine, welche
seine unbekannte Geliebte um sich hatte, und mit
der sie sich am Tage wie am Abend vielfältig ab-
gab, trug ein Licht durch das Zimmer und lehnte

Erſte Abtheilung.

Murrend ſuchte Emil den Mantel aus dem
Schranke, gab ihn dem Aufgeſtandenen, und zwang
ſich zu einem ironiſchen Laͤcheln. Da haſt du mei-
nen tuͤrkiſchen Dolch, den ich geſtern gekauft habe,
ſagte Roderich, indem er ſich einhuͤllte, heb' ihn
auf; es taugt nicht, dergleichen ernſthaftes Zeug
als Spielerei bei ſich zu haben, man kann denn
doch nicht wiſſen, wozu es gemißbraucht wuͤrde,
wenn Zank oder anderer Unfug die Gelegenheit
herbei fuͤhrte; morgen ſehn wir uns wieder, lebe
wohl und bleibe vergnuͤgt. Er wartete auf keine
Erwiederung, ſondern eilte die Treppe hinunter.

Als Emil allein war, ſuchte er ſeinen Zorn
zu vergeſſen und das Betragen ſeines Freundes
von der laͤcherlichen Seite zu nehmen. Er betrach-
tete den blanken ſchoͤn gearbeiteten Dolch, und ſagte:
wie muß es doch dem Menſchen ſeyn, der ſolch
ſcharfes Eiſen in die Bruſt des Gegners ſtoͤßt,
oder gar einen geliebten Gegenſtand damit verlezt?
Er ſchloß ihn ein, lehnte dann behutſam die Laͤ-
den ſeines Fenſters zuruͤck und ſah uͤber die enge
Gaſſe. Aber kein Licht regte ſich, es war finſter
im Hauſe gegenuͤber; die theure Geſtalt, die dort
wohnte und ſich um dieſe Zeit bei haͤuslicher Be-
ſchaͤftigung zu zeigen pflegte, ſchien entfernt. Viel-
leicht gar auf dem Balle! dachte Emil, ſo wenig
es auch ihrer eingezogenen Lebensart ziemte. Ploͤz-
lich aber zeigte ſich ein Licht, und die Kleine, welche
ſeine unbekannte Geliebte um ſich hatte, und mit
der ſie ſich am Tage wie am Abend vielfaͤltig ab-
gab, trug ein Licht durch das Zimmer und lehnte

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[282/0293] Erſte Abtheilung. Murrend ſuchte Emil den Mantel aus dem Schranke, gab ihn dem Aufgeſtandenen, und zwang ſich zu einem ironiſchen Laͤcheln. Da haſt du mei- nen tuͤrkiſchen Dolch, den ich geſtern gekauft habe, ſagte Roderich, indem er ſich einhuͤllte, heb' ihn auf; es taugt nicht, dergleichen ernſthaftes Zeug als Spielerei bei ſich zu haben, man kann denn doch nicht wiſſen, wozu es gemißbraucht wuͤrde, wenn Zank oder anderer Unfug die Gelegenheit herbei fuͤhrte; morgen ſehn wir uns wieder, lebe wohl und bleibe vergnuͤgt. Er wartete auf keine Erwiederung, ſondern eilte die Treppe hinunter. Als Emil allein war, ſuchte er ſeinen Zorn zu vergeſſen und das Betragen ſeines Freundes von der laͤcherlichen Seite zu nehmen. Er betrach- tete den blanken ſchoͤn gearbeiteten Dolch, und ſagte: wie muß es doch dem Menſchen ſeyn, der ſolch ſcharfes Eiſen in die Bruſt des Gegners ſtoͤßt, oder gar einen geliebten Gegenſtand damit verlezt? Er ſchloß ihn ein, lehnte dann behutſam die Laͤ- den ſeines Fenſters zuruͤck und ſah uͤber die enge Gaſſe. Aber kein Licht regte ſich, es war finſter im Hauſe gegenuͤber; die theure Geſtalt, die dort wohnte und ſich um dieſe Zeit bei haͤuslicher Be- ſchaͤftigung zu zeigen pflegte, ſchien entfernt. Viel- leicht gar auf dem Balle! dachte Emil, ſo wenig es auch ihrer eingezogenen Lebensart ziemte. Ploͤz- lich aber zeigte ſich ein Licht, und die Kleine, welche ſeine unbekannte Geliebte um ſich hatte, und mit der ſie ſich am Tage wie am Abend vielfaͤltig ab- gab, trug ein Licht durch das Zimmer und lehnte

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/293>, abgerufen am 22.11.2024.