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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
möchte, daß die theuersten bekanntesten Gestal-
ten sich plötzlich in fremd gespenstische Wesen
verwandeln dürften, und man ist und bleibt
thöricht, und hört zu, läßt sich von den Worten
immer weiter und weiter verlocken, bis das un-
geheuerste Grauen uns plötzlich erfaßt, und alle
vorigen Empfindungen wie in einen Strudel ge-
waltthätig verschlingt. Es fängt an Abend zu
werden, laßt uns hinein gehn und aufhören.

Das ist aber ganz gegen die Abrede, sagte
Manfred, wollt ihr Weiber einer Akademie vor-
stehn und die Talente aufmuntern, so müßt ihr
auch mehr Muth und Ausdauer haben. Kannst
du den guten Lothar mit dieser unbilligen Kri-
tik so kränken? Habt ihr es denn nicht vorher
gewußt, daß man euch würde zu fürchten machen?
Worüber beklagt ihr euch also? Mir hat seine
Erzählung so wohl gefallen, daß ich, in Nach-
ahmung Alexanders, ausrufen könnte: ich möchte
diesen Liebeszauber geschrieben haben, wenn ich
nicht meinen Runenberg gedichtet hätte! Darum,
ihr Besten, laßt die Narrheit fahren und bleibt
hübsch thöricht und in der Ordnung.

Diese Geschichte und die deinige, Bruder
Manfred, sagte Auguste, haben uns eben alle
Lust genommen, noch etwas anzuhören, denn sie
sind zu gräßlich.

Et tu, Brute? rief Manfred aus; Schwe-
ster, du bist ja meine Schwester, wir sind ja
hoffentlich Ein Blut! nicht gegen die eigne Fa-

Erſte Abtheilung.
moͤchte, daß die theuerſten bekannteſten Geſtal-
ten ſich ploͤtzlich in fremd geſpenſtiſche Weſen
verwandeln duͤrften, und man iſt und bleibt
thoͤricht, und hoͤrt zu, laͤßt ſich von den Worten
immer weiter und weiter verlocken, bis das un-
geheuerſte Grauen uns ploͤtzlich erfaßt, und alle
vorigen Empfindungen wie in einen Strudel ge-
waltthaͤtig verſchlingt. Es faͤngt an Abend zu
werden, laßt uns hinein gehn und aufhoͤren.

Das iſt aber ganz gegen die Abrede, ſagte
Manfred, wollt ihr Weiber einer Akademie vor-
ſtehn und die Talente aufmuntern, ſo muͤßt ihr
auch mehr Muth und Ausdauer haben. Kannſt
du den guten Lothar mit dieſer unbilligen Kri-
tik ſo kraͤnken? Habt ihr es denn nicht vorher
gewußt, daß man euch wuͤrde zu fuͤrchten machen?
Woruͤber beklagt ihr euch alſo? Mir hat ſeine
Erzaͤhlung ſo wohl gefallen, daß ich, in Nach-
ahmung Alexanders, ausrufen koͤnnte: ich moͤchte
dieſen Liebeszauber geſchrieben haben, wenn ich
nicht meinen Runenberg gedichtet haͤtte! Darum,
ihr Beſten, laßt die Narrheit fahren und bleibt
huͤbſch thoͤricht und in der Ordnung.

Dieſe Geſchichte und die deinige, Bruder
Manfred, ſagte Auguſte, haben uns eben alle
Luſt genommen, noch etwas anzuhoͤren, denn ſie
ſind zu graͤßlich.

Et tu, Brute? rief Manfred aus; Schwe-
ſter, du biſt ja meine Schweſter, wir ſind ja
hoffentlich Ein Blut! nicht gegen die eigne Fa-

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[315/0326] Erſte Abtheilung. moͤchte, daß die theuerſten bekannteſten Geſtal- ten ſich ploͤtzlich in fremd geſpenſtiſche Weſen verwandeln duͤrften, und man iſt und bleibt thoͤricht, und hoͤrt zu, laͤßt ſich von den Worten immer weiter und weiter verlocken, bis das un- geheuerſte Grauen uns ploͤtzlich erfaßt, und alle vorigen Empfindungen wie in einen Strudel ge- waltthaͤtig verſchlingt. Es faͤngt an Abend zu werden, laßt uns hinein gehn und aufhoͤren. Das iſt aber ganz gegen die Abrede, ſagte Manfred, wollt ihr Weiber einer Akademie vor- ſtehn und die Talente aufmuntern, ſo muͤßt ihr auch mehr Muth und Ausdauer haben. Kannſt du den guten Lothar mit dieſer unbilligen Kri- tik ſo kraͤnken? Habt ihr es denn nicht vorher gewußt, daß man euch wuͤrde zu fuͤrchten machen? Woruͤber beklagt ihr euch alſo? Mir hat ſeine Erzaͤhlung ſo wohl gefallen, daß ich, in Nach- ahmung Alexanders, ausrufen koͤnnte: ich moͤchte dieſen Liebeszauber geſchrieben haben, wenn ich nicht meinen Runenberg gedichtet haͤtte! Darum, ihr Beſten, laßt die Narrheit fahren und bleibt huͤbſch thoͤricht und in der Ordnung. Dieſe Geſchichte und die deinige, Bruder Manfred, ſagte Auguſte, haben uns eben alle Luſt genommen, noch etwas anzuhoͤren, denn ſie ſind zu graͤßlich. Et tu, Brute? rief Manfred aus; Schwe- ſter, du biſt ja meine Schweſter, wir ſind ja hoffentlich Ein Blut! nicht gegen die eigne Fa-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/326>, abgerufen am 22.11.2024.