Jezt war die Zeit da, und die Stunde gekommen, in welcher der Ritter seine geliebte Magelone be- suchen sollte. Er ging heimlicherweise durch die Pforte des Gartens und auf die Kammer der Amme, wo er die Prinzessin fand. Magelone saß auf einem Ruhebett und wollte aufstehn, als sie den Ritter eintreten sah, und ihm um den Hals fallen, und ihn mit Thränen und Küssen in die Wette bedecken. Doch mäßigte sie sich und blieb sitzen, aber eine scharlachene Röthe überzog ihr ganzes Gesicht, so daß sie aussah wie eine Rose, die sich noch nicht entfaltet hat und die jetzt der warme Sonnenschein badet, und ihre Blätter aus einander lockt. Eben so war auch der Ritter, der mit verschämtem Gesichte vor ihr stand, auf wel- chem holdselige Freude und Verwirrung sich wech- selsweise ablösten.
Die Amme verließ das Gemach, und Peter warf sich ohne zu sprechen auf ein Knie nieder; Magelone reichte ihm die schöne Hand, hieß ihn aufstehn und sich neben sie nieder setzen. Peter that es, und zitterte an ihrer Seite; seine Augen waren wie zwei glänzende Sterne, so trunken war er vor Entzückung, daß er nun die Geliebteste sei- ner Seele so dicht vor seinen Augen sah. Lange wollte kein Gespräch in den Gang kommen, ihre zärtlichen Blicke, die sich verstohlen begegneten, stör-
I. [ 23 ]
Die ſchoͤne Magelone.
8. Wie Peter die ſchoͤne Magelone beſuchte.
Jezt war die Zeit da, und die Stunde gekommen, in welcher der Ritter ſeine geliebte Magelone be- ſuchen ſollte. Er ging heimlicherweiſe durch die Pforte des Gartens und auf die Kammer der Amme, wo er die Prinzeſſin fand. Magelone ſaß auf einem Ruhebett und wollte aufſtehn, als ſie den Ritter eintreten ſah, und ihm um den Hals fallen, und ihn mit Thraͤnen und Kuͤſſen in die Wette bedecken. Doch maͤßigte ſie ſich und blieb ſitzen, aber eine ſcharlachene Roͤthe uͤberzog ihr ganzes Geſicht, ſo daß ſie ausſah wie eine Roſe, die ſich noch nicht entfaltet hat und die jetzt der warme Sonnenſchein badet, und ihre Blaͤtter aus einander lockt. Eben ſo war auch der Ritter, der mit verſchaͤmtem Geſichte vor ihr ſtand, auf wel- chem holdſelige Freude und Verwirrung ſich wech- ſelsweiſe abloͤſten.
Die Amme verließ das Gemach, und Peter warf ſich ohne zu ſprechen auf ein Knie nieder; Magelone reichte ihm die ſchoͤne Hand, hieß ihn aufſtehn und ſich neben ſie nieder ſetzen. Peter that es, und zitterte an ihrer Seite; ſeine Augen waren wie zwei glaͤnzende Sterne, ſo trunken war er vor Entzuͤckung, daß er nun die Geliebteſte ſei- ner Seele ſo dicht vor ſeinen Augen ſah. Lange wollte kein Geſpraͤch in den Gang kommen, ihre zaͤrtlichen Blicke, die ſich verſtohlen begegneten, ſtoͤr-
I. [ 23 ]
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0364"n="353"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die ſchoͤne Magelone</hi>.</fw><lb/><divn="3"><head>8.<lb/><hirendition="#g">Wie Peter die ſchoͤne Magelone beſuchte</hi>.</head><lb/><p><hirendition="#in">J</hi>ezt war die Zeit da, und die Stunde gekommen,<lb/>
in welcher der Ritter ſeine geliebte Magelone be-<lb/>ſuchen ſollte. Er ging heimlicherweiſe durch die<lb/>
Pforte des Gartens und auf die Kammer der<lb/>
Amme, wo er die Prinzeſſin fand. Magelone ſaß<lb/>
auf einem Ruhebett und wollte aufſtehn, als ſie<lb/>
den Ritter eintreten ſah, und ihm um den Hals<lb/>
fallen, und ihn mit Thraͤnen und Kuͤſſen in die<lb/>
Wette bedecken. Doch maͤßigte ſie ſich und blieb<lb/>ſitzen, aber eine ſcharlachene Roͤthe uͤberzog ihr<lb/>
ganzes Geſicht, ſo daß ſie ausſah wie eine Roſe,<lb/>
die ſich noch nicht entfaltet hat und die jetzt der<lb/>
warme Sonnenſchein badet, und ihre Blaͤtter aus<lb/>
einander lockt. Eben ſo war auch der Ritter, der<lb/>
mit verſchaͤmtem Geſichte vor ihr ſtand, auf wel-<lb/>
chem holdſelige Freude und Verwirrung ſich wech-<lb/>ſelsweiſe abloͤſten.</p><lb/><p>Die Amme verließ das Gemach, und Peter<lb/>
warf ſich ohne zu ſprechen auf ein Knie nieder;<lb/>
Magelone reichte ihm die ſchoͤne Hand, hieß ihn<lb/>
aufſtehn und ſich neben ſie nieder ſetzen. Peter<lb/>
that es, und zitterte an ihrer Seite; ſeine Augen<lb/>
waren wie zwei glaͤnzende Sterne, ſo trunken war<lb/>
er vor Entzuͤckung, daß er nun die Geliebteſte ſei-<lb/>
ner Seele ſo dicht vor ſeinen Augen ſah. Lange<lb/>
wollte kein Geſpraͤch in den Gang kommen, ihre<lb/>
zaͤrtlichen Blicke, die ſich verſtohlen begegneten, ſtoͤr-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">I. [ 23 ]</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[353/0364]
Die ſchoͤne Magelone.
8.
Wie Peter die ſchoͤne Magelone beſuchte.
Jezt war die Zeit da, und die Stunde gekommen,
in welcher der Ritter ſeine geliebte Magelone be-
ſuchen ſollte. Er ging heimlicherweiſe durch die
Pforte des Gartens und auf die Kammer der
Amme, wo er die Prinzeſſin fand. Magelone ſaß
auf einem Ruhebett und wollte aufſtehn, als ſie
den Ritter eintreten ſah, und ihm um den Hals
fallen, und ihn mit Thraͤnen und Kuͤſſen in die
Wette bedecken. Doch maͤßigte ſie ſich und blieb
ſitzen, aber eine ſcharlachene Roͤthe uͤberzog ihr
ganzes Geſicht, ſo daß ſie ausſah wie eine Roſe,
die ſich noch nicht entfaltet hat und die jetzt der
warme Sonnenſchein badet, und ihre Blaͤtter aus
einander lockt. Eben ſo war auch der Ritter, der
mit verſchaͤmtem Geſichte vor ihr ſtand, auf wel-
chem holdſelige Freude und Verwirrung ſich wech-
ſelsweiſe abloͤſten.
Die Amme verließ das Gemach, und Peter
warf ſich ohne zu ſprechen auf ein Knie nieder;
Magelone reichte ihm die ſchoͤne Hand, hieß ihn
aufſtehn und ſich neben ſie nieder ſetzen. Peter
that es, und zitterte an ihrer Seite; ſeine Augen
waren wie zwei glaͤnzende Sterne, ſo trunken war
er vor Entzuͤckung, daß er nun die Geliebteſte ſei-
ner Seele ſo dicht vor ſeinen Augen ſah. Lange
wollte kein Geſpraͤch in den Gang kommen, ihre
zaͤrtlichen Blicke, die ſich verſtohlen begegneten, ſtoͤr-
I. [ 23 ]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/364>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.