alle wieder im Hause befanden, fragte Leopold seine Mutter: nun, wie gefällt Ihnen unser Freund, der gute mürrische Alte?
Ich habe ihn mir, antwortete diese, nach eu- ren Beschreibungen viel abschreckender gedacht, er ist ja mild und theilnehmend, man könnte ein rech- tes Zutrauen zu ihm gewinnen.
Zutrauen? rief Agathe aus, zu diesen fürch- terlich brennenden Augen, diesen tausendfachen Runzeln, dem blassen eingekniffenen Mund, und diesem seltsamen Lachen, das so höhnisch klingt und aussieht? Nein, Gott bewahr mich vor sol- chem Freunde! Wenn böse Geister sich in Men- schen verkleiden wollen, müssen sie eine solche Ge- stalt annehmen.
Wahrscheinlich doch eine jüngere und reizen- dere, antwortete die Mutter; aber ich kenne auch diesen guten Alten in deiner Beschreibung nicht wieder. Man sieht, daß er von heftigem Tempe- rament ist, und sich gewöhnt hat alle seine Em- pfindungen in sich zu verschließen; er mag, wie Leopold sagt, viel Unglück erlebt haben, daher ist er mißtrauisch geworden, und hat jene einfache Of- fenheit verloren, die hauptsächlich nur den Glück- lichen eigen ist.
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, weil die übrige Gesellschaft hinzu trat. Man ging zur Tafel, und der Fremde saß neben Agathe und dem reichen Kaufmanne. Als man anfing die Ge- sundheiten zu trinken, rief Leopold: haltet noch inne, meine werthen Freunde, dazu müssen wir
Erſte Abtheilung.
alle wieder im Hauſe befanden, fragte Leopold ſeine Mutter: nun, wie gefaͤllt Ihnen unſer Freund, der gute muͤrriſche Alte?
Ich habe ihn mir, antwortete dieſe, nach eu- ren Beſchreibungen viel abſchreckender gedacht, er iſt ja mild und theilnehmend, man koͤnnte ein rech- tes Zutrauen zu ihm gewinnen.
Zutrauen? rief Agathe aus, zu dieſen fuͤrch- terlich brennenden Augen, dieſen tauſendfachen Runzeln, dem blaſſen eingekniffenen Mund, und dieſem ſeltſamen Lachen, das ſo hoͤhniſch klingt und ausſieht? Nein, Gott bewahr mich vor ſol- chem Freunde! Wenn boͤſe Geiſter ſich in Men- ſchen verkleiden wollen, muͤſſen ſie eine ſolche Ge- ſtalt annehmen.
Wahrſcheinlich doch eine juͤngere und reizen- dere, antwortete die Mutter; aber ich kenne auch dieſen guten Alten in deiner Beſchreibung nicht wieder. Man ſieht, daß er von heftigem Tempe- rament iſt, und ſich gewoͤhnt hat alle ſeine Em- pfindungen in ſich zu verſchließen; er mag, wie Leopold ſagt, viel Ungluͤck erlebt haben, daher iſt er mißtrauiſch geworden, und hat jene einfache Of- fenheit verloren, die hauptſaͤchlich nur den Gluͤck- lichen eigen iſt.
Ihr Geſpraͤch wurde unterbrochen, weil die uͤbrige Geſellſchaft hinzu trat. Man ging zur Tafel, und der Fremde ſaß neben Agathe und dem reichen Kaufmanne. Als man anfing die Ge- ſundheiten zu trinken, rief Leopold: haltet noch inne, meine werthen Freunde, dazu muͤſſen wir
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Erſte Abtheilung.
alle wieder im Hauſe befanden, fragte Leopold ſeine
Mutter: nun, wie gefaͤllt Ihnen unſer Freund,
der gute muͤrriſche Alte?
Ich habe ihn mir, antwortete dieſe, nach eu-
ren Beſchreibungen viel abſchreckender gedacht, er
iſt ja mild und theilnehmend, man koͤnnte ein rech-
tes Zutrauen zu ihm gewinnen.
Zutrauen? rief Agathe aus, zu dieſen fuͤrch-
terlich brennenden Augen, dieſen tauſendfachen
Runzeln, dem blaſſen eingekniffenen Mund, und
dieſem ſeltſamen Lachen, das ſo hoͤhniſch klingt
und ausſieht? Nein, Gott bewahr mich vor ſol-
chem Freunde! Wenn boͤſe Geiſter ſich in Men-
ſchen verkleiden wollen, muͤſſen ſie eine ſolche Ge-
ſtalt annehmen.
Wahrſcheinlich doch eine juͤngere und reizen-
dere, antwortete die Mutter; aber ich kenne auch
dieſen guten Alten in deiner Beſchreibung nicht
wieder. Man ſieht, daß er von heftigem Tempe-
rament iſt, und ſich gewoͤhnt hat alle ſeine Em-
pfindungen in ſich zu verſchließen; er mag, wie
Leopold ſagt, viel Ungluͤck erlebt haben, daher iſt
er mißtrauiſch geworden, und hat jene einfache Of-
fenheit verloren, die hauptſaͤchlich nur den Gluͤck-
lichen eigen iſt.
Ihr Geſpraͤch wurde unterbrochen, weil die
uͤbrige Geſellſchaft hinzu trat. Man ging zur
Tafel, und der Fremde ſaß neben Agathe und
dem reichen Kaufmanne. Als man anfing die Ge-
ſundheiten zu trinken, rief Leopold: haltet noch
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/461>, abgerufen am 22.11.2024.
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