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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.

Noch mehr, fuhr Lothar fort, diese Frau
ist noch anmuthig und reizend, und man glaubt
es kaum, daß sie zwei erwachsene Töchter haben
könne. Sie hat selbst einige annehmlich schei-
nende Parthieen ausgeschlagen, und Männer
haben sich um sie beworben, die an Jahren weit
jünger sind.

Wenn die Mutter schon so gefährlich ist,
sagte Theodor, so muß der Umgang mit den
Töchtern gar herz- und halsbrechend sein.

Die Gattin unsers Manfred, erzählte Lothar
weiter, ist sehr still und sanft, von zartem Ge-
müth und rührend schöner Gestalt, er hat noch
das Betragen des Liebhabers, und sie das blöde
geschämige Wesen einer Jungfrau; ihre jüngere
Schwester Clara ist der Muthwille und die Hei-
terkeit selbst, launig, witzig, und fast immer
lachend, im beständigem kleinen Kriege mit Man-
fred; man sollte glauben, wenn man sie beisam-
men sieht, er hätte diese lieben müssen, und die
ältere, ihm so ungleiche Schwester, hätte ihn
nicht rühren können, allein die Liebe fodert viel-
leicht eine gewisse Verschiedenheit des Wesens
und des Charakters.

Ich komme darauf zurück, sagte Ernst, daß
wir immer noch nicht wissen können, wie viel
in Manfred angewöhnte Manier ist, und wie
viel Natur; ich habe oft bemerkt, daß er ernst,
ja traurig war, wenn die Umgebung ihn für
ausschweifend lustig hielt. Er hat es von je

Einleitung.

Noch mehr, fuhr Lothar fort, dieſe Frau
iſt noch anmuthig und reizend, und man glaubt
es kaum, daß ſie zwei erwachſene Toͤchter haben
koͤnne. Sie hat ſelbſt einige annehmlich ſchei-
nende Parthieen ausgeſchlagen, und Maͤnner
haben ſich um ſie beworben, die an Jahren weit
juͤnger ſind.

Wenn die Mutter ſchon ſo gefaͤhrlich iſt,
ſagte Theodor, ſo muß der Umgang mit den
Toͤchtern gar herz- und halsbrechend ſein.

Die Gattin unſers Manfred, erzaͤhlte Lothar
weiter, iſt ſehr ſtill und ſanft, von zartem Ge-
muͤth und ruͤhrend ſchoͤner Geſtalt, er hat noch
das Betragen des Liebhabers, und ſie das bloͤde
geſchaͤmige Weſen einer Jungfrau; ihre juͤngere
Schweſter Clara iſt der Muthwille und die Hei-
terkeit ſelbſt, launig, witzig, und faſt immer
lachend, im beſtaͤndigem kleinen Kriege mit Man-
fred; man ſollte glauben, wenn man ſie beiſam-
men ſieht, er haͤtte dieſe lieben muͤſſen, und die
aͤltere, ihm ſo ungleiche Schweſter, haͤtte ihn
nicht ruͤhren koͤnnen, allein die Liebe fodert viel-
leicht eine gewiſſe Verſchiedenheit des Weſens
und des Charakters.

Ich komme darauf zuruͤck, ſagte Ernſt, daß
wir immer noch nicht wiſſen koͤnnen, wie viel
in Manfred angewoͤhnte Manier iſt, und wie
viel Natur; ich habe oft bemerkt, daß er ernſt,
ja traurig war, wenn die Umgebung ihn fuͤr
ausſchweifend luſtig hielt. Er hat es von je

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[41/0052] Einleitung. Noch mehr, fuhr Lothar fort, dieſe Frau iſt noch anmuthig und reizend, und man glaubt es kaum, daß ſie zwei erwachſene Toͤchter haben koͤnne. Sie hat ſelbſt einige annehmlich ſchei- nende Parthieen ausgeſchlagen, und Maͤnner haben ſich um ſie beworben, die an Jahren weit juͤnger ſind. Wenn die Mutter ſchon ſo gefaͤhrlich iſt, ſagte Theodor, ſo muß der Umgang mit den Toͤchtern gar herz- und halsbrechend ſein. Die Gattin unſers Manfred, erzaͤhlte Lothar weiter, iſt ſehr ſtill und ſanft, von zartem Ge- muͤth und ruͤhrend ſchoͤner Geſtalt, er hat noch das Betragen des Liebhabers, und ſie das bloͤde geſchaͤmige Weſen einer Jungfrau; ihre juͤngere Schweſter Clara iſt der Muthwille und die Hei- terkeit ſelbſt, launig, witzig, und faſt immer lachend, im beſtaͤndigem kleinen Kriege mit Man- fred; man ſollte glauben, wenn man ſie beiſam- men ſieht, er haͤtte dieſe lieben muͤſſen, und die aͤltere, ihm ſo ungleiche Schweſter, haͤtte ihn nicht ruͤhren koͤnnen, allein die Liebe fodert viel- leicht eine gewiſſe Verſchiedenheit des Weſens und des Charakters. Ich komme darauf zuruͤck, ſagte Ernſt, daß wir immer noch nicht wiſſen koͤnnen, wie viel in Manfred angewoͤhnte Manier iſt, und wie viel Natur; ich habe oft bemerkt, daß er ernſt, ja traurig war, wenn die Umgebung ihn fuͤr ausſchweifend luſtig hielt. Er hat es von je

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/52>, abgerufen am 21.11.2024.