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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
zu existiren; so sitzt er in dieser Stimmung Ta-
gelang im Winkel und findet jeden Scherz geist-
los und jedes Gespräch albern, sein Blick und
kümmerliches Gesicht schlagen aber auch jede
Freude und Heiterkeit aus seiner Gesellschaft zu-
rück; er ist zu träge, spazieren zu gehn, oder
irgend etwas zu treiben: aber nun fällt ihn die
Laune an, nun soll jedermann lustig sein, nun
findet er es unbegreiflich, wenn irgend jemand
nicht an seinen schwärmenden Phantasieen Theil
nimmt, nun ist jeder ein Philister, der nicht zum
Zeitvertreib halb mit dem Kopf gegen die Felsen
rennt, nun muß man mit ihm durch Garten
und Gebirge laufen, fallen und klettern; oder
er zwingt alles Musik zu machen und zu singen;
oder, was das Schlimmste ist, er liest vor, und
verlangt, jedermann soll an irgend einer Schnurre,
oder einem alten vergessenen Buche denselben
krampfhaften Antheil nehmen, zu welchem er
sich spornt. So geschah es gestern, als er plötz-
lich den Philander von Sitenwald herbei holte,
ewig lange las, und sich verwunderte, daß wir
nicht alle mit demselben Heißhunger darüber her-
fielen, wie er, der das Buch in Jahren viel-
leicht nicht angesehn hat; und so bringt er wohl
morgen den Fischart, oder Hans Sachs. Wobei
er sich auch nicht einreden läßt, sondern auf seine
Lebenszeit hat er sich verwöhnt, daß alle Men-
schen ihm nur eben als Werkzeuge dienen, an
welchen sich seine schnell wandelnde Laune offen-

Einleitung.
zu exiſtiren; ſo ſitzt er in dieſer Stimmung Ta-
gelang im Winkel und findet jeden Scherz geiſt-
los und jedes Geſpraͤch albern, ſein Blick und
kuͤmmerliches Geſicht ſchlagen aber auch jede
Freude und Heiterkeit aus ſeiner Geſellſchaft zu-
ruͤck; er iſt zu traͤge, ſpazieren zu gehn, oder
irgend etwas zu treiben: aber nun faͤllt ihn die
Laune an, nun ſoll jedermann luſtig ſein, nun
findet er es unbegreiflich, wenn irgend jemand
nicht an ſeinen ſchwaͤrmenden Phantaſieen Theil
nimmt, nun iſt jeder ein Philiſter, der nicht zum
Zeitvertreib halb mit dem Kopf gegen die Felſen
rennt, nun muß man mit ihm durch Garten
und Gebirge laufen, fallen und klettern; oder
er zwingt alles Muſik zu machen und zu ſingen;
oder, was das Schlimmſte iſt, er lieſt vor, und
verlangt, jedermann ſoll an irgend einer Schnurre,
oder einem alten vergeſſenen Buche denſelben
krampfhaften Antheil nehmen, zu welchem er
ſich ſpornt. So geſchah es geſtern, als er ploͤtz-
lich den Philander von Sitenwald herbei holte,
ewig lange las, und ſich verwunderte, daß wir
nicht alle mit demſelben Heißhunger daruͤber her-
fielen, wie er, der das Buch in Jahren viel-
leicht nicht angeſehn hat; und ſo bringt er wohl
morgen den Fiſchart, oder Hans Sachs. Wobei
er ſich auch nicht einreden laͤßt, ſondern auf ſeine
Lebenszeit hat er ſich verwoͤhnt, daß alle Men-
ſchen ihm nur eben als Werkzeuge dienen, an
welchen ſich ſeine ſchnell wandelnde Laune offen-

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[53/0064] Einleitung. zu exiſtiren; ſo ſitzt er in dieſer Stimmung Ta- gelang im Winkel und findet jeden Scherz geiſt- los und jedes Geſpraͤch albern, ſein Blick und kuͤmmerliches Geſicht ſchlagen aber auch jede Freude und Heiterkeit aus ſeiner Geſellſchaft zu- ruͤck; er iſt zu traͤge, ſpazieren zu gehn, oder irgend etwas zu treiben: aber nun faͤllt ihn die Laune an, nun ſoll jedermann luſtig ſein, nun findet er es unbegreiflich, wenn irgend jemand nicht an ſeinen ſchwaͤrmenden Phantaſieen Theil nimmt, nun iſt jeder ein Philiſter, der nicht zum Zeitvertreib halb mit dem Kopf gegen die Felſen rennt, nun muß man mit ihm durch Garten und Gebirge laufen, fallen und klettern; oder er zwingt alles Muſik zu machen und zu ſingen; oder, was das Schlimmſte iſt, er lieſt vor, und verlangt, jedermann ſoll an irgend einer Schnurre, oder einem alten vergeſſenen Buche denſelben krampfhaften Antheil nehmen, zu welchem er ſich ſpornt. So geſchah es geſtern, als er ploͤtz- lich den Philander von Sitenwald herbei holte, ewig lange las, und ſich verwunderte, daß wir nicht alle mit demſelben Heißhunger daruͤber her- fielen, wie er, der das Buch in Jahren viel- leicht nicht angeſehn hat; und ſo bringt er wohl morgen den Fiſchart, oder Hans Sachs. Wobei er ſich auch nicht einreden laͤßt, ſondern auf ſeine Lebenszeit hat er ſich verwoͤhnt, daß alle Men- ſchen ihm nur eben als Werkzeuge dienen, an welchen ſich ſeine ſchnell wandelnde Laune offen-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/64>, abgerufen am 21.11.2024.