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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
keit benutzte, um ihm auf prosaische Weise etwas
der überflüssigen Poesie auszuklopfen.

Sacht! sacht! rief Theodor, woher diese
Neronische Gesinnung? Ergieb dich der Billig-
keit, Freund, oder du sollst so mit albernen
Späßen und Wortspielen, welche dir verhaßt
sind, gegeißelt werden, daß du den Werth der
Humanität einsehn lernst. Nun schau auf, geht
drüben nicht unser Anton einsam, sanft und
stille, sein Gemüth und die schöne Natur be-
trachtend? Wie unrecht haben wir ihm so eben
gethan.

Dieses mal, antwortete Wilibald, und wis-
sen wir doch nicht, ob ihn die Weiber nicht so
eben verlassen haben, denen er mit seinem sanf-
ten, lieben, zuvorkommenden Naturell stets nach-
schleicht, und die ihm gern entgegen kommen,
weil sie ihm anfühlen, daß er auch das Schwächste
und Verwerflichste in ihnen ehrt und verthei-
digt; denn nicht in ein Individuum, sondern in
das ganze Geschlecht ist er verliebt: macht er
hier nicht Claren, ihrer Mutter, der jungen Frau
und Augusten emsig den Hof? die übrigen lächeln
ihn auch stets an, nur sollte er es doch fühlen,
daß er der letztern zur Last fällt und sie in Ruhe
lassen. Alle andere Menschen ändern sich doch
von Zeit zu Zeit und legen ihre Albernheiten ab,
ihn aber kannst du nach Jahren wieder antref-
fen, und er trägt dir noch dieselben Kindereien
und Meinungen mit seiner ruhigen Salbung ent-

Einleitung.
keit benutzte, um ihm auf proſaiſche Weiſe etwas
der uͤberfluͤſſigen Poeſie auszuklopfen.

Sacht! ſacht! rief Theodor, woher dieſe
Neroniſche Geſinnung? Ergieb dich der Billig-
keit, Freund, oder du ſollſt ſo mit albernen
Spaͤßen und Wortſpielen, welche dir verhaßt
ſind, gegeißelt werden, daß du den Werth der
Humanitaͤt einſehn lernſt. Nun ſchau auf, geht
druͤben nicht unſer Anton einſam, ſanft und
ſtille, ſein Gemuͤth und die ſchoͤne Natur be-
trachtend? Wie unrecht haben wir ihm ſo eben
gethan.

Dieſes mal, antwortete Wilibald, und wiſ-
ſen wir doch nicht, ob ihn die Weiber nicht ſo
eben verlaſſen haben, denen er mit ſeinem ſanf-
ten, lieben, zuvorkommenden Naturell ſtets nach-
ſchleicht, und die ihm gern entgegen kommen,
weil ſie ihm anfuͤhlen, daß er auch das Schwaͤchſte
und Verwerflichſte in ihnen ehrt und verthei-
digt; denn nicht in ein Individuum, ſondern in
das ganze Geſchlecht iſt er verliebt: macht er
hier nicht Claren, ihrer Mutter, der jungen Frau
und Auguſten emſig den Hof? die uͤbrigen laͤcheln
ihn auch ſtets an, nur ſollte er es doch fuͤhlen,
daß er der letztern zur Laſt faͤllt und ſie in Ruhe
laſſen. Alle andere Menſchen aͤndern ſich doch
von Zeit zu Zeit und legen ihre Albernheiten ab,
ihn aber kannſt du nach Jahren wieder antref-
fen, und er traͤgt dir noch dieſelben Kindereien
und Meinungen mit ſeiner ruhigen Salbung ent-

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[55/0066] Einleitung. keit benutzte, um ihm auf proſaiſche Weiſe etwas der uͤberfluͤſſigen Poeſie auszuklopfen. Sacht! ſacht! rief Theodor, woher dieſe Neroniſche Geſinnung? Ergieb dich der Billig- keit, Freund, oder du ſollſt ſo mit albernen Spaͤßen und Wortſpielen, welche dir verhaßt ſind, gegeißelt werden, daß du den Werth der Humanitaͤt einſehn lernſt. Nun ſchau auf, geht druͤben nicht unſer Anton einſam, ſanft und ſtille, ſein Gemuͤth und die ſchoͤne Natur be- trachtend? Wie unrecht haben wir ihm ſo eben gethan. Dieſes mal, antwortete Wilibald, und wiſ- ſen wir doch nicht, ob ihn die Weiber nicht ſo eben verlaſſen haben, denen er mit ſeinem ſanf- ten, lieben, zuvorkommenden Naturell ſtets nach- ſchleicht, und die ihm gern entgegen kommen, weil ſie ihm anfuͤhlen, daß er auch das Schwaͤchſte und Verwerflichſte in ihnen ehrt und verthei- digt; denn nicht in ein Individuum, ſondern in das ganze Geſchlecht iſt er verliebt: macht er hier nicht Claren, ihrer Mutter, der jungen Frau und Auguſten emſig den Hof? die uͤbrigen laͤcheln ihn auch ſtets an, nur ſollte er es doch fuͤhlen, daß er der letztern zur Laſt faͤllt und ſie in Ruhe laſſen. Alle andere Menſchen aͤndern ſich doch von Zeit zu Zeit und legen ihre Albernheiten ab, ihn aber kannſt du nach Jahren wieder antref- fen, und er traͤgt dir noch dieſelben Kindereien und Meinungen mit ſeiner ruhigen Salbung ent-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/66>, abgerufen am 21.11.2024.