gegen, ja, wenn man ihn erinnert, daß er vor geraumer Zeit die und jene Angewöhnung gehabt, oder jene Sinnesart geäußert, so dankt er dir so herzlich, als wenn du ihm einen verlornen Schatz wieder fändest, und sucht beides von neuem hervor, im Fall er es vergessen haben sollte.
Dann muß dir aber doch der wandelbare und empfängliche Lothar ganz nach Wunsche sein, erwiederte Theodor.
Noch weniger als Anton, fuhr Wilibald in seiner Kritik fort, denn eben seine zu große Em- pfänglichkeit hindert ihn, sich und andre zu der Ruhe kommen zu lassen, die durchaus unent- behrlich ist, wenn aus Bildung oder Geselligkeit irgend etwas werden soll. Er kann weder in einer guten noch schlechten Gesellschaft sein, daß ihn nicht die Lust anwandelt, Comödie zu spie- len, ex tempore oder nach memorirten Rollen; es scheint fast, daß ihm in seiner eigenen Haut so unbehaglich ist, daß er lieber die eines jeden andern Narren über zieht, um seiner selbst nur los zu werden. Die heilige Stelle in der Welt, sein Tempel, ist das Theater, und selbst jedes schlechte Subjekt, das nur einmal die Bretter öffentlich betreten hat, ist ihm mit einer gewis- sen Glorie umgeben. Gestern den ganzen Abend unterhielt er uns mit seiner ehemaligen Bekeh- rungssucht und Proselytenmacherei, wie er jeden armen Sünder zum Shakspear wenden und ihn von dessen Herrlichkeit hatte durchdringen wol-
Einleitung.
gegen, ja, wenn man ihn erinnert, daß er vor geraumer Zeit die und jene Angewoͤhnung gehabt, oder jene Sinnesart geaͤußert, ſo dankt er dir ſo herzlich, als wenn du ihm einen verlornen Schatz wieder faͤndeſt, und ſucht beides von neuem hervor, im Fall er es vergeſſen haben ſollte.
Dann muß dir aber doch der wandelbare und empfaͤngliche Lothar ganz nach Wunſche ſein, erwiederte Theodor.
Noch weniger als Anton, fuhr Wilibald in ſeiner Kritik fort, denn eben ſeine zu große Em- pfaͤnglichkeit hindert ihn, ſich und andre zu der Ruhe kommen zu laſſen, die durchaus unent- behrlich iſt, wenn aus Bildung oder Geſelligkeit irgend etwas werden ſoll. Er kann weder in einer guten noch ſchlechten Geſellſchaft ſein, daß ihn nicht die Luſt anwandelt, Comoͤdie zu ſpie- len, ex tempore oder nach memorirten Rollen; es ſcheint faſt, daß ihm in ſeiner eigenen Haut ſo unbehaglich iſt, daß er lieber die eines jeden andern Narren uͤber zieht, um ſeiner ſelbſt nur los zu werden. Die heilige Stelle in der Welt, ſein Tempel, iſt das Theater, und ſelbſt jedes ſchlechte Subjekt, das nur einmal die Bretter oͤffentlich betreten hat, iſt ihm mit einer gewiſ- ſen Glorie umgeben. Geſtern den ganzen Abend unterhielt er uns mit ſeiner ehemaligen Bekeh- rungsſucht und Proſelytenmacherei, wie er jeden armen Suͤnder zum Shakſpear wenden und ihn von deſſen Herrlichkeit hatte durchdringen wol-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0067"n="56"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
gegen, ja, wenn man ihn erinnert, daß er vor<lb/>
geraumer Zeit die und jene Angewoͤhnung gehabt,<lb/>
oder jene Sinnesart geaͤußert, ſo dankt er dir<lb/>ſo herzlich, als wenn du ihm einen verlornen<lb/>
Schatz wieder faͤndeſt, und ſucht beides von neuem<lb/>
hervor, im Fall er es vergeſſen haben ſollte.</p><lb/><p>Dann muß dir aber doch der wandelbare<lb/>
und empfaͤngliche Lothar ganz nach Wunſche ſein,<lb/>
erwiederte Theodor.</p><lb/><p>Noch weniger als Anton, fuhr Wilibald in<lb/>ſeiner Kritik fort, denn eben ſeine zu große Em-<lb/>
pfaͤnglichkeit hindert ihn, ſich und andre zu der<lb/>
Ruhe kommen zu laſſen, die durchaus unent-<lb/>
behrlich iſt, wenn aus Bildung oder Geſelligkeit<lb/>
irgend etwas werden ſoll. Er kann weder in<lb/>
einer guten noch ſchlechten Geſellſchaft ſein, daß<lb/>
ihn nicht die Luſt anwandelt, Comoͤdie zu ſpie-<lb/>
len, <hirendition="#aq">ex tempore</hi> oder nach memorirten Rollen;<lb/>
es ſcheint faſt, daß ihm in ſeiner eigenen Haut<lb/>ſo unbehaglich iſt, daß er lieber die eines jeden<lb/>
andern Narren uͤber zieht, um ſeiner ſelbſt nur<lb/>
los zu werden. Die heilige Stelle in der Welt,<lb/>ſein Tempel, iſt das Theater, und ſelbſt jedes<lb/>ſchlechte Subjekt, das nur einmal die Bretter<lb/>
oͤffentlich betreten hat, iſt ihm mit einer gewiſ-<lb/>ſen Glorie umgeben. Geſtern den ganzen Abend<lb/>
unterhielt er uns mit ſeiner ehemaligen Bekeh-<lb/>
rungsſucht und Proſelytenmacherei, wie er jeden<lb/>
armen Suͤnder zum Shakſpear wenden und ihn<lb/>
von deſſen Herrlichkeit hatte durchdringen wol-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[56/0067]
Einleitung.
gegen, ja, wenn man ihn erinnert, daß er vor
geraumer Zeit die und jene Angewoͤhnung gehabt,
oder jene Sinnesart geaͤußert, ſo dankt er dir
ſo herzlich, als wenn du ihm einen verlornen
Schatz wieder faͤndeſt, und ſucht beides von neuem
hervor, im Fall er es vergeſſen haben ſollte.
Dann muß dir aber doch der wandelbare
und empfaͤngliche Lothar ganz nach Wunſche ſein,
erwiederte Theodor.
Noch weniger als Anton, fuhr Wilibald in
ſeiner Kritik fort, denn eben ſeine zu große Em-
pfaͤnglichkeit hindert ihn, ſich und andre zu der
Ruhe kommen zu laſſen, die durchaus unent-
behrlich iſt, wenn aus Bildung oder Geſelligkeit
irgend etwas werden ſoll. Er kann weder in
einer guten noch ſchlechten Geſellſchaft ſein, daß
ihn nicht die Luſt anwandelt, Comoͤdie zu ſpie-
len, ex tempore oder nach memorirten Rollen;
es ſcheint faſt, daß ihm in ſeiner eigenen Haut
ſo unbehaglich iſt, daß er lieber die eines jeden
andern Narren uͤber zieht, um ſeiner ſelbſt nur
los zu werden. Die heilige Stelle in der Welt,
ſein Tempel, iſt das Theater, und ſelbſt jedes
ſchlechte Subjekt, das nur einmal die Bretter
oͤffentlich betreten hat, iſt ihm mit einer gewiſ-
ſen Glorie umgeben. Geſtern den ganzen Abend
unterhielt er uns mit ſeiner ehemaligen Bekeh-
rungsſucht und Proſelytenmacherei, wie er jeden
armen Suͤnder zum Shakſpear wenden und ihn
von deſſen Herrlichkeit hatte durchdringen wol-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/67>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.