len; er erzählte so lannig, wie und auf welchen Wegen er nach so manchen komischen Verirrun- gen von dieser Schwachheit zurück gekommen sei, und, siehe, noch in derselben Stunde nahm er den alten Landjunker von drüben in die Beichte und suchte ihm das Verständniß für den Ham- let aufzuschließen, der nur immer wieder darauf zurück kam, daß man beim Aufführen die Tod- tengräber-Scene nicht auslassen dürfe, weil sie die beste im ganzen Stücke sei. Mir scheint es eine wahre Krankheit, sich in einen Autor, habe er Namen wie er wolle, so durchaus zu ver- tiefen, und ich glaube, daß durch das zu starre Hinschauen das Auge am Ende eben so geblen- det werde, wie durch ein irres Herumfahren von einem Gegenstande zum andern. Selbst bei Wei- bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht er in Lobpreisungen des Lear und Macbeth aus, und die einfältigste kann ihm liebenswürdig und klug erscheinen, wenn sie nur Geduld genug hat, ihm stundenlang zuzuhören.
Gegen unsern Ernst kannst du wohl schwer- lich dergleichen einwenden? fragte Theodor.
Er ist mir vielleicht der verdrießlichste von allen, fiel Wilibald ein; er, der alles besser weiß, besser würde gemacht haben, der schon seit Jahren gesehn hat, wohin alles kommen wird, der selten jemand aussprechen läßt, ihn zu verstehn sich aber niemals die Mühe giebt, weil er schon im voraus überzeugt ist, er müsse
Einleitung.
len; er erzaͤhlte ſo lannig, wie und auf welchen Wegen er nach ſo manchen komiſchen Verirrun- gen von dieſer Schwachheit zuruͤck gekommen ſei, und, ſiehe, noch in derſelben Stunde nahm er den alten Landjunker von druͤben in die Beichte und ſuchte ihm das Verſtaͤndniß fuͤr den Ham- let aufzuſchließen, der nur immer wieder darauf zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod- tengraͤber-Scene nicht auslaſſen duͤrfe, weil ſie die beſte im ganzen Stuͤcke ſei. Mir ſcheint es eine wahre Krankheit, ſich in einen Autor, habe er Namen wie er wolle, ſo durchaus zu ver- tiefen, und ich glaube, daß durch das zu ſtarre Hinſchauen das Auge am Ende eben ſo geblen- det werde, wie durch ein irres Herumfahren von einem Gegenſtande zum andern. Selbſt bei Wei- bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht er in Lobpreiſungen des Lear und Macbeth aus, und die einfaͤltigſte kann ihm liebenswuͤrdig und klug erſcheinen, wenn ſie nur Geduld genug hat, ihm ſtundenlang zuzuhoͤren.
Gegen unſern Ernſt kannſt du wohl ſchwer- lich dergleichen einwenden? fragte Theodor.
Er iſt mir vielleicht der verdrießlichſte von allen, fiel Wilibald ein; er, der alles beſſer weiß, beſſer wuͤrde gemacht haben, der ſchon ſeit Jahren geſehn hat, wohin alles kommen wird, der ſelten jemand ausſprechen laͤßt, ihn zu verſtehn ſich aber niemals die Muͤhe giebt, weil er ſchon im voraus uͤberzeugt iſt, er muͤſſe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0068"n="57"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
len; er erzaͤhlte ſo lannig, wie und auf welchen<lb/>
Wegen er nach ſo manchen komiſchen Verirrun-<lb/>
gen von dieſer Schwachheit zuruͤck gekommen ſei,<lb/>
und, ſiehe, noch in derſelben Stunde nahm er<lb/>
den alten Landjunker von druͤben in die Beichte<lb/>
und ſuchte ihm das Verſtaͤndniß fuͤr den Ham-<lb/>
let aufzuſchließen, der nur immer wieder darauf<lb/>
zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod-<lb/>
tengraͤber-Scene nicht auslaſſen duͤrfe, weil ſie<lb/>
die beſte im ganzen Stuͤcke ſei. Mir ſcheint es<lb/>
eine wahre Krankheit, ſich in einen Autor, habe<lb/>
er Namen wie er wolle, ſo durchaus zu ver-<lb/>
tiefen, und ich glaube, daß durch das zu ſtarre<lb/>
Hinſchauen das Auge am Ende eben ſo geblen-<lb/>
det werde, wie durch ein irres Herumfahren von<lb/>
einem Gegenſtande zum andern. Selbſt bei Wei-<lb/>
bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht<lb/>
er in Lobpreiſungen des Lear und Macbeth aus,<lb/>
und die einfaͤltigſte kann ihm liebenswuͤrdig und<lb/>
klug erſcheinen, wenn ſie nur Geduld genug hat,<lb/>
ihm ſtundenlang zuzuhoͤren.</p><lb/><p>Gegen unſern Ernſt kannſt du wohl ſchwer-<lb/>
lich dergleichen einwenden? fragte Theodor.</p><lb/><p>Er iſt mir vielleicht der verdrießlichſte von<lb/>
allen, fiel Wilibald ein; er, der alles beſſer<lb/>
weiß, beſſer wuͤrde gemacht haben, der ſchon<lb/>ſeit Jahren geſehn hat, wohin alles kommen<lb/>
wird, der ſelten jemand ausſprechen laͤßt, ihn<lb/>
zu verſtehn ſich aber niemals die Muͤhe giebt,<lb/>
weil er ſchon im voraus uͤberzeugt iſt, er muͤſſe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[57/0068]
Einleitung.
len; er erzaͤhlte ſo lannig, wie und auf welchen
Wegen er nach ſo manchen komiſchen Verirrun-
gen von dieſer Schwachheit zuruͤck gekommen ſei,
und, ſiehe, noch in derſelben Stunde nahm er
den alten Landjunker von druͤben in die Beichte
und ſuchte ihm das Verſtaͤndniß fuͤr den Ham-
let aufzuſchließen, der nur immer wieder darauf
zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod-
tengraͤber-Scene nicht auslaſſen duͤrfe, weil ſie
die beſte im ganzen Stuͤcke ſei. Mir ſcheint es
eine wahre Krankheit, ſich in einen Autor, habe
er Namen wie er wolle, ſo durchaus zu ver-
tiefen, und ich glaube, daß durch das zu ſtarre
Hinſchauen das Auge am Ende eben ſo geblen-
det werde, wie durch ein irres Herumfahren von
einem Gegenſtande zum andern. Selbſt bei Wei-
bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht
er in Lobpreiſungen des Lear und Macbeth aus,
und die einfaͤltigſte kann ihm liebenswuͤrdig und
klug erſcheinen, wenn ſie nur Geduld genug hat,
ihm ſtundenlang zuzuhoͤren.
Gegen unſern Ernſt kannſt du wohl ſchwer-
lich dergleichen einwenden? fragte Theodor.
Er iſt mir vielleicht der verdrießlichſte von
allen, fiel Wilibald ein; er, der alles beſſer
weiß, beſſer wuͤrde gemacht haben, der ſchon
ſeit Jahren geſehn hat, wohin alles kommen
wird, der ſelten jemand ausſprechen laͤßt, ihn
zu verſtehn ſich aber niemals die Muͤhe giebt,
weil er ſchon im voraus uͤberzeugt iſt, er muͤſſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/68>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.