Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. erst hinzufügen, was in der fremden Meinungetwa Sinn haben könne. Er ist der thätigste und zugleich der trägste aller Menschen; bald ist er auf dieser, bald auf jener Reise, weil er alles mit eigenen Augen sehen will, alles will er ler- nen, keine Bibliothek ist ihm vollständig genug, kein Ort so entfernt, von dem er nicht Bücher verschriebe; bald ist es Geschichte, bald Poesie oder Kunst, bald Physik, oder gar Mystik, was er studirt, und wieder von neuem studirt; er lä- chelt nur, wenn andre sprechen, als wollt' er sagen: laßt mich nur gewähren, laßt mich nur zur Rede kommen, so sollt ihr Wunder hören! Und wenn man nun wartet, und Jahre lang wartet, ihn dann endlich auffordert, daß er sein Licht leuchten lasse, so muß er wieder dieses Werk nachlesen, jene Reise erst machen, so fehlt es gerade am Allernothwendigsten, und so vertrö- stet er sich selbst und andre auf eine nimmer er- scheinende Zukunft. Die übrigen ärgern mich nur, er aber macht mich böse; denn das ist das ver- drüßlichste am Menschen, wenn er vor lauter Gründlichkeit auch nicht einmal an die Oberfläche der Dinge gelangen kann: es ist die Gründlich- keit der Danaiden, die auch immer hofften, der nächste Guß würde nun der rechte und letzte sein, und nicht gewahr wurden, daß es eben an Bo- den mangle. Wollt ihr mir nun nicht auch von mir ein Einleitung. erſt hinzufuͤgen, was in der fremden Meinungetwa Sinn haben koͤnne. Er iſt der thaͤtigſte und zugleich der traͤgſte aller Menſchen; bald iſt er auf dieſer, bald auf jener Reiſe, weil er alles mit eigenen Augen ſehen will, alles will er ler- nen, keine Bibliothek iſt ihm vollſtaͤndig genug, kein Ort ſo entfernt, von dem er nicht Buͤcher verſchriebe; bald iſt es Geſchichte, bald Poeſie oder Kunſt, bald Phyſik, oder gar Myſtik, was er ſtudirt, und wieder von neuem ſtudirt; er laͤ- chelt nur, wenn andre ſprechen, als wollt' er ſagen: laßt mich nur gewaͤhren, laßt mich nur zur Rede kommen, ſo ſollt ihr Wunder hoͤren! Und wenn man nun wartet, und Jahre lang wartet, ihn dann endlich auffordert, daß er ſein Licht leuchten laſſe, ſo muß er wieder dieſes Werk nachleſen, jene Reiſe erſt machen, ſo fehlt es gerade am Allernothwendigſten, und ſo vertroͤ- ſtet er ſich ſelbſt und andre auf eine nimmer er- ſcheinende Zukunft. Die uͤbrigen aͤrgern mich nur, er aber macht mich boͤſe; denn das iſt das ver- druͤßlichſte am Menſchen, wenn er vor lauter Gruͤndlichkeit auch nicht einmal an die Oberflaͤche der Dinge gelangen kann: es iſt die Gruͤndlich- keit der Danaiden, die auch immer hofften, der naͤchſte Guß wuͤrde nun der rechte und letzte ſein, und nicht gewahr wurden, daß es eben an Bo- den mangle. Wollt ihr mir nun nicht auch von mir ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0069" n="58"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> erſt hinzufuͤgen, was in der fremden Meinung<lb/> etwa Sinn haben koͤnne. Er iſt der thaͤtigſte<lb/> und zugleich der traͤgſte aller Menſchen; bald iſt<lb/> er auf dieſer, bald auf jener Reiſe, weil er alles<lb/> mit eigenen Augen ſehen will, alles will er ler-<lb/> nen, keine Bibliothek iſt ihm vollſtaͤndig genug,<lb/> kein Ort ſo entfernt, von dem er nicht Buͤcher<lb/> verſchriebe; bald iſt es Geſchichte, bald Poeſie<lb/> oder Kunſt, bald Phyſik, oder gar Myſtik, was<lb/> er ſtudirt, und wieder von neuem ſtudirt; er laͤ-<lb/> chelt nur, wenn andre ſprechen, als wollt' er<lb/> ſagen: laßt mich nur gewaͤhren, laßt mich nur<lb/> zur Rede kommen, ſo ſollt ihr Wunder hoͤren!<lb/> Und wenn man nun wartet, und Jahre lang<lb/> wartet, ihn dann endlich auffordert, daß er ſein<lb/> Licht leuchten laſſe, ſo muß er wieder dieſes Werk<lb/> nachleſen, jene Reiſe erſt machen, ſo fehlt es<lb/> gerade am Allernothwendigſten, und ſo vertroͤ-<lb/> ſtet er ſich ſelbſt und andre auf eine nimmer er-<lb/> ſcheinende Zukunft. Die uͤbrigen aͤrgern mich nur,<lb/> er aber macht mich boͤſe; denn das iſt das ver-<lb/> druͤßlichſte am Menſchen, wenn er vor lauter<lb/> Gruͤndlichkeit auch nicht einmal an die Oberflaͤche<lb/> der Dinge gelangen kann: es iſt die Gruͤndlich-<lb/> keit der Danaiden, die auch immer hofften, der<lb/> naͤchſte Guß wuͤrde nun der rechte und letzte ſein,<lb/> und nicht gewahr wurden, daß es eben an Bo-<lb/> den mangle.</p><lb/> <p>Wollt ihr mir nun nicht auch von mir ein<lb/> liebes kraͤftig Woͤrtchen ſagen? neckte ihn Theodor.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [58/0069]
Einleitung.
erſt hinzufuͤgen, was in der fremden Meinung
etwa Sinn haben koͤnne. Er iſt der thaͤtigſte
und zugleich der traͤgſte aller Menſchen; bald iſt
er auf dieſer, bald auf jener Reiſe, weil er alles
mit eigenen Augen ſehen will, alles will er ler-
nen, keine Bibliothek iſt ihm vollſtaͤndig genug,
kein Ort ſo entfernt, von dem er nicht Buͤcher
verſchriebe; bald iſt es Geſchichte, bald Poeſie
oder Kunſt, bald Phyſik, oder gar Myſtik, was
er ſtudirt, und wieder von neuem ſtudirt; er laͤ-
chelt nur, wenn andre ſprechen, als wollt' er
ſagen: laßt mich nur gewaͤhren, laßt mich nur
zur Rede kommen, ſo ſollt ihr Wunder hoͤren!
Und wenn man nun wartet, und Jahre lang
wartet, ihn dann endlich auffordert, daß er ſein
Licht leuchten laſſe, ſo muß er wieder dieſes Werk
nachleſen, jene Reiſe erſt machen, ſo fehlt es
gerade am Allernothwendigſten, und ſo vertroͤ-
ſtet er ſich ſelbſt und andre auf eine nimmer er-
ſcheinende Zukunft. Die uͤbrigen aͤrgern mich nur,
er aber macht mich boͤſe; denn das iſt das ver-
druͤßlichſte am Menſchen, wenn er vor lauter
Gruͤndlichkeit auch nicht einmal an die Oberflaͤche
der Dinge gelangen kann: es iſt die Gruͤndlich-
keit der Danaiden, die auch immer hofften, der
naͤchſte Guß wuͤrde nun der rechte und letzte ſein,
und nicht gewahr wurden, daß es eben an Bo-
den mangle.
Wollt ihr mir nun nicht auch von mir ein
liebes kraͤftig Woͤrtchen ſagen? neckte ihn Theodor.
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