Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.
Zweite Abtheilung. Else. Laß sie, ists ja doch ein Glück, wenn sie schlafen können. Wahrmund. Wenn wir die Nattern nur nicht hätten, so könnte man sich eher helfen, aber die Brut saugt einem Mark und Gebein aus. Else. Du lieber Gott! Was wir uns in den ersten Jahren unsrer Ehe Kinder wünschten! Was wir trauerten und uns härmten, daß an mei- nem Leibe immer und immer kein Seegen sichtbar werden wollte. Da ließen wir uns von Zigeunern wahrsagen, da braucht ich die kluge Frau im Wal- de, da gingen wir endlich nach der Felsengegend, wo der große Zauberer verzaubert liegt, daß ihn kein Mensch sieht, und nur die Stimme von ihm übrig geblieben ist, -- wie heißt er doch? Wahrmund. Laß gut seyn, -- Schmerl oder Merl, -- die Alfanzerei läuft auf eins hin- aus. Else. Recht, Merlin. Da kriegten wir den Trost, daß ein Knabe von mir geboren werden sollte, der noch einmal unser Glück machen würde. -- Ja, ja leere Worte, -- was bracht' ich in meiner Angst zur Welt? den kleinen armseligen Thomas, einen Zwerg, einen unnützen Brodfres- ser, aus dem zeitlebens nichts werden kann, der allen im Dorf ein Spott ist; der Schlingel ist nun schon funfzehn Jahr, und die dreijährigen Kinder im Dorf prügeln ihn ab, so oft sie nur Lust dazu haben, Ekelnamen rufen sie ihm nach; Däumchen! heißt es hier, Däumchen! schreien sie da über den Zaun, wenn er vorbei geht, so daß Zweite Abtheilung. Elſe. Laß ſie, iſts ja doch ein Gluͤck, wenn ſie ſchlafen koͤnnen. Wahrmund. Wenn wir die Nattern nur nicht haͤtten, ſo koͤnnte man ſich eher helfen, aber die Brut ſaugt einem Mark und Gebein aus. Elſe. Du lieber Gott! Was wir uns in den erſten Jahren unſrer Ehe Kinder wuͤnſchten! Was wir trauerten und uns haͤrmten, daß an mei- nem Leibe immer und immer kein Seegen ſichtbar werden wollte. Da ließen wir uns von Zigeunern wahrſagen, da braucht ich die kluge Frau im Wal- de, da gingen wir endlich nach der Felſengegend, wo der große Zauberer verzaubert liegt, daß ihn kein Menſch ſieht, und nur die Stimme von ihm uͤbrig geblieben iſt, — wie heißt er doch? Wahrmund. Laß gut ſeyn, — Schmerl oder Merl, — die Alfanzerei laͤuft auf eins hin- aus. Elſe. Recht, Merlin. Da kriegten wir den Troſt, daß ein Knabe von mir geboren werden ſollte, der noch einmal unſer Gluͤck machen wuͤrde. — Ja, ja leere Worte, — was bracht' ich in meiner Angſt zur Welt? den kleinen armſeligen Thomas, einen Zwerg, einen unnuͤtzen Brodfreſ- ſer, aus dem zeitlebens nichts werden kann, der allen im Dorf ein Spott iſt; der Schlingel iſt nun ſchon funfzehn Jahr, und die dreijaͤhrigen Kinder im Dorf pruͤgeln ihn ab, ſo oft ſie nur Luſt dazu haben, Ekelnamen rufen ſie ihm nach; Daͤumchen! heißt es hier, Daͤumchen! ſchreien ſie da uͤber den Zaun, wenn er vorbei geht, ſo daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0461" n="452"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <sp who="#ELSE"> <speaker><hi rendition="#g">Elſe</hi>.</speaker> <p>Laß ſie, iſts ja doch ein Gluͤck, wenn<lb/> ſie ſchlafen koͤnnen.</p> </sp><lb/> <sp who="#WAH"> <speaker><hi rendition="#g">Wahrmund</hi>.</speaker> <p>Wenn wir die Nattern nur<lb/> nicht haͤtten, ſo koͤnnte man ſich eher helfen, aber<lb/> die Brut ſaugt einem Mark und Gebein aus.</p> </sp><lb/> <sp who="#ELSE"> <speaker><hi rendition="#g">Elſe</hi>.</speaker> <p>Du lieber Gott! Was wir uns in<lb/> den erſten Jahren unſrer Ehe Kinder wuͤnſchten!<lb/> Was wir trauerten und uns haͤrmten, daß an mei-<lb/> nem Leibe immer und immer kein Seegen ſichtbar<lb/> werden wollte. Da ließen wir uns von Zigeunern<lb/> wahrſagen, da braucht ich die kluge Frau im Wal-<lb/> de, da gingen wir endlich nach der Felſengegend,<lb/> wo der große Zauberer verzaubert liegt, daß ihn<lb/> kein Menſch ſieht, und nur die Stimme von ihm<lb/> uͤbrig geblieben iſt, — wie heißt er doch?</p> </sp><lb/> <sp who="#WAH"> <speaker><hi rendition="#g">Wahrmund</hi>.</speaker> <p>Laß gut ſeyn, — Schmerl<lb/> oder Merl, — die Alfanzerei laͤuft auf eins hin-<lb/> aus.</p> </sp><lb/> <sp who="#ELSE"> <speaker><hi rendition="#g">Elſe</hi>.</speaker> <p>Recht, Merlin. Da kriegten wir den<lb/> Troſt, daß ein Knabe von mir geboren werden<lb/> ſollte, der noch einmal unſer Gluͤck machen wuͤrde.<lb/> — Ja, ja leere Worte, — was bracht' ich in<lb/> meiner Angſt zur Welt? den kleinen armſeligen<lb/> Thomas, einen Zwerg, einen unnuͤtzen Brodfreſ-<lb/> ſer, aus dem zeitlebens nichts werden kann, der<lb/> allen im Dorf ein Spott iſt; der Schlingel iſt<lb/> nun ſchon funfzehn Jahr, und die dreijaͤhrigen<lb/> Kinder im Dorf pruͤgeln ihn ab, ſo oft ſie nur<lb/> Luſt dazu haben, Ekelnamen rufen ſie ihm nach;<lb/> Daͤumchen! heißt es hier, Daͤumchen! ſchreien ſie<lb/> da uͤber den Zaun, wenn er vorbei geht, ſo daß<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [452/0461]
Zweite Abtheilung.
Elſe. Laß ſie, iſts ja doch ein Gluͤck, wenn
ſie ſchlafen koͤnnen.
Wahrmund. Wenn wir die Nattern nur
nicht haͤtten, ſo koͤnnte man ſich eher helfen, aber
die Brut ſaugt einem Mark und Gebein aus.
Elſe. Du lieber Gott! Was wir uns in
den erſten Jahren unſrer Ehe Kinder wuͤnſchten!
Was wir trauerten und uns haͤrmten, daß an mei-
nem Leibe immer und immer kein Seegen ſichtbar
werden wollte. Da ließen wir uns von Zigeunern
wahrſagen, da braucht ich die kluge Frau im Wal-
de, da gingen wir endlich nach der Felſengegend,
wo der große Zauberer verzaubert liegt, daß ihn
kein Menſch ſieht, und nur die Stimme von ihm
uͤbrig geblieben iſt, — wie heißt er doch?
Wahrmund. Laß gut ſeyn, — Schmerl
oder Merl, — die Alfanzerei laͤuft auf eins hin-
aus.
Elſe. Recht, Merlin. Da kriegten wir den
Troſt, daß ein Knabe von mir geboren werden
ſollte, der noch einmal unſer Gluͤck machen wuͤrde.
— Ja, ja leere Worte, — was bracht' ich in
meiner Angſt zur Welt? den kleinen armſeligen
Thomas, einen Zwerg, einen unnuͤtzen Brodfreſ-
ſer, aus dem zeitlebens nichts werden kann, der
allen im Dorf ein Spott iſt; der Schlingel iſt
nun ſchon funfzehn Jahr, und die dreijaͤhrigen
Kinder im Dorf pruͤgeln ihn ab, ſo oft ſie nur
Luſt dazu haben, Ekelnamen rufen ſie ihm nach;
Daͤumchen! heißt es hier, Daͤumchen! ſchreien ſie
da uͤber den Zaun, wenn er vorbei geht, ſo daß
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| Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/461>, abgerufen am 22.11.2024. |
