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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

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Zweite Abtheilung.
zu vergaffen, und endlich einen Götzen statt des
Gottes anzubeten. Doch trifft Dich das nicht,
mein Lieber, höchstens mich, der ich mich selbst,
das heißt die menschliche Schwäche, einigerma-
ßen kennen gelernt habe.

Die beiden Freunde sahen sich mit einem
bedeutenden Blicke an, und die Frauen, die die
Mitwisserinnen des Geheinmisses waren, wur-
den verlegen, hauptsächlich aber Anton, welcher
in seinem bösen Gewissen meinte, Friedrich müsse
es ihm und Clara ansehen können, daß er alles
schon ausgeplaudert habe. Aus welchem Lande,
fing er in seiner Angst an, mag das Mährchen
nur herkommen?

Die Franzosen, sagte Lothar, besitzen schon
lange dieses Gedicht, und nennen es eine Ueber-
setzung aus dem Spanischen, doch zweifle ich,
daß es ein südländisches Produkt sey, Cypern
und Spanien stehen immer sehr im Hinter-
grund, England aber im Augenpunkt: hier ist es
wahrscheinlich entstanden, und wohl nicht vor
dem funfzehnten Jahrhundert. Ein Zeitgenosse
Shakspeares brachte es auch auf die Bühne,
oder er bearbeitete vielmehr ein altes Stück,
welches schon vor ihm beliebt war.

In der alten Erzählung, fügte Ernst hinzu,
giebt es nur eine historische Hinweisung, indem
des Drakula erwähnt wird, der ein Zeitgenosse
des Mathias Corvinus und des Kaisers Frie-
drich des Dritten war, das Mährchen müßte
III. [ 15 ]
Zweite Abtheilung.
zu vergaffen, und endlich einen Goͤtzen ſtatt des
Gottes anzubeten. Doch trifft Dich das nicht,
mein Lieber, hoͤchſtens mich, der ich mich ſelbſt,
das heißt die menſchliche Schwaͤche, einigerma-
ßen kennen gelernt habe.

Die beiden Freunde ſahen ſich mit einem
bedeutenden Blicke an, und die Frauen, die die
Mitwiſſerinnen des Geheinmiſſes waren, wur-
den verlegen, hauptſaͤchlich aber Anton, welcher
in ſeinem boͤſen Gewiſſen meinte, Friedrich muͤſſe
es ihm und Clara anſehen koͤnnen, daß er alles
ſchon ausgeplaudert habe. Aus welchem Lande,
fing er in ſeiner Angſt an, mag das Maͤhrchen
nur herkommen?

Die Franzoſen, ſagte Lothar, beſitzen ſchon
lange dieſes Gedicht, und nennen es eine Ueber-
ſetzung aus dem Spaniſchen, doch zweifle ich,
daß es ein ſuͤdlaͤndiſches Produkt ſey, Cypern
und Spanien ſtehen immer ſehr im Hinter-
grund, England aber im Augenpunkt: hier iſt es
wahrſcheinlich entſtanden, und wohl nicht vor
dem funfzehnten Jahrhundert. Ein Zeitgenoſſe
Shakſpeares brachte es auch auf die Buͤhne,
oder er bearbeitete vielmehr ein altes Stuͤck,
welches ſchon vor ihm beliebt war.

In der alten Erzaͤhlung, fuͤgte Ernſt hinzu,
giebt es nur eine hiſtoriſche Hinweiſung, indem
des Drakula erwaͤhnt wird, der ein Zeitgenoſſe
des Mathias Corvinus und des Kaiſers Frie-
drich des Dritten war, das Maͤhrchen muͤßte
III. [ 15 ]
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[225/0235] Zweite Abtheilung. zu vergaffen, und endlich einen Goͤtzen ſtatt des Gottes anzubeten. Doch trifft Dich das nicht, mein Lieber, hoͤchſtens mich, der ich mich ſelbſt, das heißt die menſchliche Schwaͤche, einigerma- ßen kennen gelernt habe. Die beiden Freunde ſahen ſich mit einem bedeutenden Blicke an, und die Frauen, die die Mitwiſſerinnen des Geheinmiſſes waren, wur- den verlegen, hauptſaͤchlich aber Anton, welcher in ſeinem boͤſen Gewiſſen meinte, Friedrich muͤſſe es ihm und Clara anſehen koͤnnen, daß er alles ſchon ausgeplaudert habe. Aus welchem Lande, fing er in ſeiner Angſt an, mag das Maͤhrchen nur herkommen? Die Franzoſen, ſagte Lothar, beſitzen ſchon lange dieſes Gedicht, und nennen es eine Ueber- ſetzung aus dem Spaniſchen, doch zweifle ich, daß es ein ſuͤdlaͤndiſches Produkt ſey, Cypern und Spanien ſtehen immer ſehr im Hinter- grund, England aber im Augenpunkt: hier iſt es wahrſcheinlich entſtanden, und wohl nicht vor dem funfzehnten Jahrhundert. Ein Zeitgenoſſe Shakſpeares brachte es auch auf die Buͤhne, oder er bearbeitete vielmehr ein altes Stuͤck, welches ſchon vor ihm beliebt war. In der alten Erzaͤhlung, fuͤgte Ernſt hinzu, giebt es nur eine hiſtoriſche Hinweiſung, indem des Drakula erwaͤhnt wird, der ein Zeitgenoſſe des Mathias Corvinus und des Kaiſers Frie- drich des Dritten war, das Maͤhrchen muͤßte III. [ 15 ]

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/235>, abgerufen am 21.11.2024.