Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. 2. Rath. Glück? Verdienste, mein Lieber; das, was man Glück nennt, giebt es in so wohl eingerichteten Staaten nicht. 1. Rath. Nun, so nennen Sie es Zufall. 2. Rath. Noch weniger. Zufall? Lieber, wie vertrüge es sich mit der gesunden Philosophie, diesen zu statuiren? 1. Rath. Je nun, leben und leben lassen: seyen wir tolerant, damit andre uns auch unser bischen Talent und Verdienst gönnen. Eins nicht ohne das andere. -- Doch welch ein Getümmel draußen? Neue Partheien? Die Leute wissen ja doch, daß die Session vorüber ist. Nun, das Trappeln, das Rufen, das Streiten wird wahr- lich immer ärger. Hören Sie nur die Ungezogen- heit! Herr Sekretär, bedeuten Sie doch einmal den Leuten. (Sekretär ab). -- Meine Frau wird schon zu Hause mit dem Essen warten. 2. Rath. Herr College, Sie sollten sich unmaßgeblich vor dem jungen Menschen nicht so bloß geben: er ist ja im Stande, und trägt dem Präsidenten alles wieder zu. 1. Rath. Menschenfurcht, Herr College, ist mir unbekannt: ich verläumde, ich verfolge nicht, ich lasse dem Verdienst Gerechtigkeit wiederfahren, aber das Glück ist doch am Ende das, was die Welt regiert. Doch Sie gehören zu den Aengstli- chen, Sie sind allzu milde, auch zu fromm, und meinen gleich, man thut dem Schicksal und der Re- ligion zu nahe, wenn man dem Glück seine Rechte einräumt. 2. Rath. Nur, ums Himmels Willen, klare Begriffe -- Zweite Abtheilung. 2. Rath. Gluͤck? Verdienſte, mein Lieber; das, was man Gluͤck nennt, giebt es in ſo wohl eingerichteten Staaten nicht. 1. Rath. Nun, ſo nennen Sie es Zufall. 2. Rath. Noch weniger. Zufall? Lieber, wie vertruͤge es ſich mit der geſunden Philoſophie, dieſen zu ſtatuiren? 1. Rath. Je nun, leben und leben laſſen: ſeyen wir tolerant, damit andre uns auch unſer bischen Talent und Verdienſt goͤnnen. Eins nicht ohne das andere. — Doch welch ein Getuͤmmel draußen? Neue Partheien? Die Leute wiſſen ja doch, daß die Seſſion voruͤber iſt. Nun, das Trappeln, das Rufen, das Streiten wird wahr- lich immer aͤrger. Hoͤren Sie nur die Ungezogen- heit! Herr Sekretaͤr, bedeuten Sie doch einmal den Leuten. (Sekretaͤr ab). — Meine Frau wird ſchon zu Hauſe mit dem Eſſen warten. 2. Rath. Herr College, Sie ſollten ſich unmaßgeblich vor dem jungen Menſchen nicht ſo bloß geben: er iſt ja im Stande, und traͤgt dem Praͤſidenten alles wieder zu. 1. Rath. Menſchenfurcht, Herr College, iſt mir unbekannt: ich verlaͤumde, ich verfolge nicht, ich laſſe dem Verdienſt Gerechtigkeit wiederfahren, aber das Gluͤck iſt doch am Ende das, was die Welt regiert. Doch Sie gehoͤren zu den Aengſtli- chen, Sie ſind allzu milde, auch zu fromm, und meinen gleich, man thut dem Schickſal und der Re- ligion zu nahe, wenn man dem Gluͤck ſeine Rechte einraͤumt. 2. Rath. Nur, ums Himmels Willen, klare Begriffe — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0260" n="250"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <sp who="#2Rath"> <speaker>2. <hi rendition="#g">Rath</hi>.</speaker> <p>Gluͤck? Verdienſte, mein Lieber;<lb/> das, was man Gluͤck nennt, giebt es in ſo wohl<lb/> eingerichteten Staaten nicht.</p> </sp><lb/> <sp who="#1Rath"> <speaker>1. <hi rendition="#g">Rath</hi>.</speaker> <p>Nun, ſo nennen Sie es Zufall.</p> </sp><lb/> <sp who="#2Rath"> <speaker>2. <hi rendition="#g">Rath</hi>.</speaker> <p>Noch weniger. Zufall? Lieber,<lb/> wie vertruͤge es ſich mit der geſunden Philoſophie,<lb/> dieſen zu ſtatuiren?</p> </sp><lb/> <sp who="#1Rath"> <speaker>1. <hi rendition="#g">Rath</hi>.</speaker> <p>Je nun, leben und leben laſſen:<lb/> ſeyen wir tolerant, damit andre uns auch unſer<lb/> bischen Talent und Verdienſt goͤnnen. 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Zweite Abtheilung.
2. Rath. Gluͤck? Verdienſte, mein Lieber;
das, was man Gluͤck nennt, giebt es in ſo wohl
eingerichteten Staaten nicht.
1. Rath. Nun, ſo nennen Sie es Zufall.
2. Rath. Noch weniger. Zufall? Lieber,
wie vertruͤge es ſich mit der geſunden Philoſophie,
dieſen zu ſtatuiren?
1. Rath. Je nun, leben und leben laſſen:
ſeyen wir tolerant, damit andre uns auch unſer
bischen Talent und Verdienſt goͤnnen. Eins nicht
ohne das andere. — Doch welch ein Getuͤmmel
draußen? Neue Partheien? Die Leute wiſſen ja
doch, daß die Seſſion voruͤber iſt. Nun, das
Trappeln, das Rufen, das Streiten wird wahr-
lich immer aͤrger. Hoͤren Sie nur die Ungezogen-
heit! Herr Sekretaͤr, bedeuten Sie doch einmal
den Leuten. (Sekretaͤr ab). — Meine Frau wird
ſchon zu Hauſe mit dem Eſſen warten.
2. Rath. Herr College, Sie ſollten ſich
unmaßgeblich vor dem jungen Menſchen nicht ſo
bloß geben: er iſt ja im Stande, und traͤgt dem
Praͤſidenten alles wieder zu.
1. Rath. Menſchenfurcht, Herr College, iſt
mir unbekannt: ich verlaͤumde, ich verfolge nicht,
ich laſſe dem Verdienſt Gerechtigkeit wiederfahren,
aber das Gluͤck iſt doch am Ende das, was die
Welt regiert. Doch Sie gehoͤren zu den Aengſtli-
chen, Sie ſind allzu milde, auch zu fromm, und
meinen gleich, man thut dem Schickſal und der Re-
ligion zu nahe, wenn man dem Gluͤck ſeine Rechte
einraͤumt.
2. Rath. Nur, ums Himmels Willen, klare
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