Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Liedchen, ich besann mich auf hun¬
dert Schwänke, die mich in vielen an¬
dern Stunden erquickt hätten, aber alles
war vergebens. Indem ich mich noch ab¬
quäle, sehe ich eine hübsche niederländische
Bäuerin am Wege sitzen, die sich die Augen
abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und
sie erzählt mir mit der liebenswürdigsten
Unbefangenheit, daß sie schon so weit ge¬
gangen sey, sich nun zu müde fühle, noch
zu ihren Eltern nach Hause zu kommen,
und darum weine sie, wie billig. Die Däm¬
merung war indeß schon eingebrochen, mein
Entschluß war bald gefaßt: weiter um
Rath zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd
an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ
sich eine Weile zureden, dann stieg sie hin¬
auf, und setzte sich vor mich: ich hielt sie
mit den Armen fest. Nun fing ich an, die
Meile noch länger zu wünschen, der nied¬

ein Liedchen, ich beſann mich auf hun¬
dert Schwänke, die mich in vielen an¬
dern Stunden erquickt hätten, aber alles
war vergebens. Indem ich mich noch ab¬
quäle, ſehe ich eine hübſche niederländiſche
Bäuerin am Wege ſitzen, die ſich die Augen
abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und
ſie erzählt mir mit der liebenswürdigſten
Unbefangenheit, daß ſie ſchon ſo weit ge¬
gangen ſey, ſich nun zu müde fühle, noch
zu ihren Eltern nach Hauſe zu kommen,
und darum weine ſie, wie billig. Die Däm¬
merung war indeß ſchon eingebrochen, mein
Entſchluß war bald gefaßt: weiter um
Rath zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd
an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ
ſich eine Weile zureden, dann ſtieg ſie hin¬
auf, und ſetzte ſich vor mich: ich hielt ſie
mit den Armen feſt. Nun fing ich an, die
Meile noch länger zu wünſchen, der nied¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="156"/>
ein Liedchen, ich be&#x017F;ann mich auf hun¬<lb/>
dert Schwänke, die mich in vielen an¬<lb/>
dern Stunden erquickt hätten, aber alles<lb/>
war vergebens. Indem ich mich noch ab¬<lb/>
quäle, &#x017F;ehe ich eine hüb&#x017F;che niederländi&#x017F;che<lb/>
Bäuerin am Wege &#x017F;itzen, die &#x017F;ich die Augen<lb/>
abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und<lb/>
&#x017F;ie erzählt mir mit der liebenswürdig&#x017F;ten<lb/>
Unbefangenheit, daß &#x017F;ie &#x017F;chon &#x017F;o weit ge¬<lb/>
gangen &#x017F;ey, &#x017F;ich nun zu müde fühle, noch<lb/>
zu ihren Eltern nach Hau&#x017F;e zu kommen,<lb/>
und darum weine &#x017F;ie, wie billig. Die Däm¬<lb/>
merung war indeß &#x017F;chon eingebrochen, mein<lb/>
Ent&#x017F;chluß war bald gefaßt: weiter um<lb/>
Rath zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd<lb/>
an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ<lb/>
&#x017F;ich eine Weile zureden, dann &#x017F;tieg &#x017F;ie hin¬<lb/>
auf, und &#x017F;etzte &#x017F;ich vor mich: ich hielt &#x017F;ie<lb/>
mit den Armen fe&#x017F;t. Nun fing ich an, die<lb/>
Meile noch länger zu wün&#x017F;chen, der nied¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0164] ein Liedchen, ich beſann mich auf hun¬ dert Schwänke, die mich in vielen an¬ dern Stunden erquickt hätten, aber alles war vergebens. Indem ich mich noch ab¬ quäle, ſehe ich eine hübſche niederländiſche Bäuerin am Wege ſitzen, die ſich die Augen abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und ſie erzählt mir mit der liebenswürdigſten Unbefangenheit, daß ſie ſchon ſo weit ge¬ gangen ſey, ſich nun zu müde fühle, noch zu ihren Eltern nach Hauſe zu kommen, und darum weine ſie, wie billig. Die Däm¬ merung war indeß ſchon eingebrochen, mein Entſchluß war bald gefaßt: weiter um Rath zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ ſich eine Weile zureden, dann ſtieg ſie hin¬ auf, und ſetzte ſich vor mich: ich hielt ſie mit den Armen feſt. Nun fing ich an, die Meile noch länger zu wünſchen, der nied¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/164
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/164>, abgerufen am 25.11.2024.