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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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Laß mich los, um Gotteswillen
Gieb mich armen Sklaven frei,
Laß die Augen Dir verhüllen,
Daß ihr Glanz nicht tödtlich sey.
Mußt Du mich in Ketten schleifen
Stärker als von Demantstein?
Muß das Schicksal mich ergreifen,
Ich ihr Kriegsgefangner seyn? --

Wie, dachte Sternbild, muß dem Man¬
ne seyn, dem sich diese Arme freundlich öff¬
nen? dem dieser heilige Mund den Kuß ent¬
gegenbringt? Die Grazie dieser übermensch¬
lichen Engelsgestalt ganz sein Eigenthum!

Die Nonne betrachtete das Gemählde
und den Mahler in einer nachdenklichen
Stellung, keine ihrer Bewegungen war leb¬
haft, aber wider Willen ward das Auge
nachgerufen, wenn sie ging, wenn sie die
Hand erhob, das Auge war entzückt, in den
Linien mitzugehn, die sie beschrieb. Franz

Laß mich los, um Gotteswillen
Gieb mich armen Sklaven frei,
Laß die Augen Dir verhüllen,
Daß ihr Glanz nicht tödtlich ſey.
Mußt Du mich in Ketten ſchleifen
Stärker als von Demantſtein?
Muß das Schickſal mich ergreifen,
Ich ihr Kriegsgefangner ſeyn? —

Wie, dachte Sternbild, muß dem Man¬
ne ſeyn, dem ſich dieſe Arme freundlich öff¬
nen? dem dieſer heilige Mund den Kuß ent¬
gegenbringt? Die Grazie dieſer übermenſch¬
lichen Engelsgeſtalt ganz ſein Eigenthum!

Die Nonne betrachtete das Gemählde
und den Mahler in einer nachdenklichen
Stellung, keine ihrer Bewegungen war leb¬
haft, aber wider Willen ward das Auge
nachgerufen, wenn ſie ging, wenn ſie die
Hand erhob, das Auge war entzückt, in den
Linien mitzugehn, die ſie beſchrieb. Franz

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[329/0337] Laß mich los, um Gotteswillen Gieb mich armen Sklaven frei, Laß die Augen Dir verhüllen, Daß ihr Glanz nicht tödtlich ſey. Mußt Du mich in Ketten ſchleifen Stärker als von Demantſtein? Muß das Schickſal mich ergreifen, Ich ihr Kriegsgefangner ſeyn? — Wie, dachte Sternbild, muß dem Man¬ ne ſeyn, dem ſich dieſe Arme freundlich öff¬ nen? dem dieſer heilige Mund den Kuß ent¬ gegenbringt? Die Grazie dieſer übermenſch¬ lichen Engelsgeſtalt ganz ſein Eigenthum! Die Nonne betrachtete das Gemählde und den Mahler in einer nachdenklichen Stellung, keine ihrer Bewegungen war leb¬ haft, aber wider Willen ward das Auge nachgerufen, wenn ſie ging, wenn ſie die Hand erhob, das Auge war entzückt, in den Linien mitzugehn, die ſie beſchrieb. Franz

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/337>, abgerufen am 25.11.2024.