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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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sich. Das Gemählde schien ihn mit seinen
alten Versen anzureden, Genovefa ihm seine
Untreue, seinen Wankelmuth vorzuwerfen.

Es war Abend geworden, als er das
Kloster verließ. Er ging über den Kirchhof
nach dem Felde zu, als ihm wieder die
dumpfen Leyertöne auffielen. Der Alte kam
auf ihn zu und nannte ihn bei Namen. Es
war niemand anders als Florestan.

Sternbald konnte sich vor Erstaunen
nicht finden, aber jener sagte: Sieh, mein
Freund, dies ist das menschliche Leben, wir
nahmen vor kurzem so wehmüthig Abschied
von einander, und nun triffst Du mich so
unerwartet und bald wieder, und zwar als
alten Mann, Sey künftig niemals traurig,
wenn Du einen Freund verlässest. Aber hast
Du nichts an Ludoviko abzugeben?

Sternbald ahndete nun den Zusammen¬
hang, mit zitternder Hand gab er ihm den

Brief,

ſich. Das Gemählde ſchien ihn mit ſeinen
alten Verſen anzureden, Genovefa ihm ſeine
Untreue, ſeinen Wankelmuth vorzuwerfen.

Es war Abend geworden, als er das
Kloſter verließ. Er ging über den Kirchhof
nach dem Felde zu, als ihm wieder die
dumpfen Leyertöne auffielen. Der Alte kam
auf ihn zu und nannte ihn bei Namen. Es
war niemand anders als Floreſtan.

Sternbald konnte ſich vor Erſtaunen
nicht finden, aber jener ſagte: Sieh, mein
Freund, dies iſt das menſchliche Leben, wir
nahmen vor kurzem ſo wehmüthig Abſchied
von einander, und nun triffſt Du mich ſo
unerwartet und bald wieder, und zwar als
alten Mann, Sey künftig niemals traurig,
wenn Du einen Freund verläſſeſt. Aber haſt
Du nichts an Ludoviko abzugeben?

Sternbald ahndete nun den Zuſammen¬
hang, mit zitternder Hand gab er ihm den

Brief,
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[336/0344] ſich. Das Gemählde ſchien ihn mit ſeinen alten Verſen anzureden, Genovefa ihm ſeine Untreue, ſeinen Wankelmuth vorzuwerfen. Es war Abend geworden, als er das Kloſter verließ. Er ging über den Kirchhof nach dem Felde zu, als ihm wieder die dumpfen Leyertöne auffielen. Der Alte kam auf ihn zu und nannte ihn bei Namen. Es war niemand anders als Floreſtan. Sternbald konnte ſich vor Erſtaunen nicht finden, aber jener ſagte: Sieh, mein Freund, dies iſt das menſchliche Leben, wir nahmen vor kurzem ſo wehmüthig Abſchied von einander, und nun triffſt Du mich ſo unerwartet und bald wieder, und zwar als alten Mann, Sey künftig niemals traurig, wenn Du einen Freund verläſſeſt. Aber haſt Du nichts an Ludoviko abzugeben? Sternbald ahndete nun den Zuſammen¬ hang, mit zitternder Hand gab er ihm den Brief,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/344>, abgerufen am 25.11.2024.