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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 11te März.
Was uns gebricht hat Gott gezählet.
Er lenkt gemach des Menschen Sinn,
So frei er seinen Stand auch wählet,
Zum allgemeinen Besten hin.


Die Wahl der künftigen Lebensart geschiehet von den
meisten Knaben freiwillig. Nun aber giebt es ungesunde,
gefährliche, verachtete und dürftige Handthierungen. Solte
man nicht vermuthen, daß es solchen Profeßionen und Ständen
an Lehrlingen fehlen würde? Aber nein! zu unsrer Verwunderung
ist alles besetzt, und auch das schlechteste Handwerk findet seine
Liebhaber. Das ist abermals ein Werk der allweisen Vorsehung,
die für alles wacht; Sonnen ihr Feuer und Sperlingen ihr Win-
tetfutter besorgt.

Es giebt unflätige, ja ehrlose Handthierungen; andre, wel-
che nur kümmerlich nähren, oder wo nur wenig Lehrlinge sich Hof-
nung machen können, einst Herr und Meister zu werden; wie-
derum andre setzen täglicher Lebensgefahr aus. Wie mancher
Ziegeldecker stürzt herab: aber seine Stelle ist sogleich wieder er-
setzt. Welch ein ekles Gewerbe haben Krankenwärter und Tod-
kengräber nicht, und dennoch sind sie da! Besonders muß es uns
befremden, daß Profeßionen so häufig erwählet werden, welche
Leben und Gesundheit bei vielen verkürzen; dahin Töpfer, Gold-
und Kupferschmiede, und alle, welche zu viel sitzen, oder mit Gift
und Fäulniß viel Verkehr haben müssen. Es giebt Bergwerke,
wo giftige Schwaden viele tödten, und wo fast kein Bergknappe
das vierzigste Jahr gesund erreicht. Jedoch der Sohn fährt

dem
K 2


Der 11te Maͤrz.
Was uns gebricht hat Gott gezaͤhlet.
Er lenkt gemach des Menſchen Sinn,
So frei er ſeinen Stand auch waͤhlet,
Zum allgemeinen Beſten hin.


Die Wahl der kuͤnftigen Lebensart geſchiehet von den
meiſten Knaben freiwillig. Nun aber giebt es ungeſunde,
gefaͤhrliche, verachtete und duͤrftige Handthierungen. Solte
man nicht vermuthen, daß es ſolchen Profeßionen und Staͤnden
an Lehrlingen fehlen wuͤrde? Aber nein! zu unſrer Verwunderung
iſt alles beſetzt, und auch das ſchlechteſte Handwerk findet ſeine
Liebhaber. Das iſt abermals ein Werk der allweiſen Vorſehung,
die fuͤr alles wacht; Sonnen ihr Feuer und Sperlingen ihr Win-
tetfutter beſorgt.

Es giebt unflaͤtige, ja ehrloſe Handthierungen; andre, wel-
che nur kuͤmmerlich naͤhren, oder wo nur wenig Lehrlinge ſich Hof-
nung machen koͤnnen, einſt Herr und Meiſter zu werden; wie-
derum andre ſetzen taͤglicher Lebensgefahr aus. Wie mancher
Ziegeldecker ſtuͤrzt herab: aber ſeine Stelle iſt ſogleich wieder er-
ſetzt. Welch ein ekles Gewerbe haben Krankenwaͤrter und Tod-
kengraͤber nicht, und dennoch ſind ſie da! Beſonders muß es uns
befremden, daß Profeßionen ſo haͤufig erwaͤhlet werden, welche
Leben und Geſundheit bei vielen verkuͤrzen; dahin Toͤpfer, Gold-
und Kupferſchmiede, und alle, welche zu viel ſitzen, oder mit Gift
und Faͤulniß viel Verkehr haben muͤſſen. Es giebt Bergwerke,
wo giftige Schwaden viele toͤdten, und wo faſt kein Bergknappe
das vierzigſte Jahr geſund erreicht. Jedoch der Sohn faͤhrt

dem
K 2
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[147[177]/0184] Der 11te Maͤrz. Was uns gebricht hat Gott gezaͤhlet. Er lenkt gemach des Menſchen Sinn, So frei er ſeinen Stand auch waͤhlet, Zum allgemeinen Beſten hin. Die Wahl der kuͤnftigen Lebensart geſchiehet von den meiſten Knaben freiwillig. Nun aber giebt es ungeſunde, gefaͤhrliche, verachtete und duͤrftige Handthierungen. Solte man nicht vermuthen, daß es ſolchen Profeßionen und Staͤnden an Lehrlingen fehlen wuͤrde? Aber nein! zu unſrer Verwunderung iſt alles beſetzt, und auch das ſchlechteſte Handwerk findet ſeine Liebhaber. Das iſt abermals ein Werk der allweiſen Vorſehung, die fuͤr alles wacht; Sonnen ihr Feuer und Sperlingen ihr Win- tetfutter beſorgt. Es giebt unflaͤtige, ja ehrloſe Handthierungen; andre, wel- che nur kuͤmmerlich naͤhren, oder wo nur wenig Lehrlinge ſich Hof- nung machen koͤnnen, einſt Herr und Meiſter zu werden; wie- derum andre ſetzen taͤglicher Lebensgefahr aus. Wie mancher Ziegeldecker ſtuͤrzt herab: aber ſeine Stelle iſt ſogleich wieder er- ſetzt. Welch ein ekles Gewerbe haben Krankenwaͤrter und Tod- kengraͤber nicht, und dennoch ſind ſie da! Beſonders muß es uns befremden, daß Profeßionen ſo haͤufig erwaͤhlet werden, welche Leben und Geſundheit bei vielen verkuͤrzen; dahin Toͤpfer, Gold- und Kupferſchmiede, und alle, welche zu viel ſitzen, oder mit Gift und Faͤulniß viel Verkehr haben muͤſſen. Es giebt Bergwerke, wo giftige Schwaden viele toͤdten, und wo faſt kein Bergknappe das vierzigſte Jahr geſund erreicht. Jedoch der Sohn faͤhrt dem K 2

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 147[177]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/184>, abgerufen am 24.11.2024.