Ach! solt ich die Gefahren wissen, Die jede Nacht mein Haus umziehn: So würd ich abends zittern müssen, Und früh würd ich vom Danke glühn! Mein Leben wird mit jeder Nacht, Wie eine Beute hingebracht.
Die Gefahren der Nacht sind so mancherlei, daß es Leichtsinn und Verwegenheit genennet werden muß, wenn man ihrer gar nicht achtet. Wir sind wachend blödsichtig und haben nicht viel Gewalt über uns: im Schlaf aber verlieren wir den Gebrauch unsrer Sinne, und hängen von uns selbst nicht ab. Jn dieser Welt schweben beständig Gefahren über unser Haupt: was soll uns decken und wie wollen wir ihnen auswei- chen, wenn wir erstarret und gedankenlos da liegen? Jch will mich jetzt einiger dieser Gefahren, die der Nacht besonders eigen sind, erinnern und zum Gebete reizen lassen:
Die Elemente können mich desto leichter verderben, je fester ich schlafe. Feuer- und Wassersnoth kan mich übereilen, und eine unvorsichtige Entblössung tödtlich erkälten. Licht und Zugluft können meinen Augen und andern Gliedern heftige Zufälle erre- gen, weil ich die ersten Angriffe davon nicht empfinde. Jnsekten und Thiere, sonderlich in Sommernächten, schleichen umher und fürchten sich vor dem todtenähnlichen Schläfer nicht, ja werden durch seine läßige und ungeschickte Gegenwehr nur noch mehr, Schaden zu thun, gereizt. Ein Wurm, der sich meinen Ohren nähert, ist der fürchterlichste Feind. Sind Augen und Mund nicht fest verschlossen, so ist die Gefahr im Schlafe noch grösser. Gottlose Menschen find am Tage gefährlich, zur Nachtzeit sind sie es noch weit mehr. Trunkenbolde, Unzüchtige, Diebe und Mörder tappen im finstern umher, und habe ich nicht recht gute
Maaß-
Der 18te Mai.
Ach! ſolt ich die Gefahren wiſſen, Die jede Nacht mein Haus umziehn: So wuͤrd ich abends zittern muͤſſen, Und fruͤh wuͤrd ich vom Danke gluͤhn! Mein Leben wird mit jeder Nacht, Wie eine Beute hingebracht.
Die Gefahren der Nacht ſind ſo mancherlei, daß es Leichtſinn und Verwegenheit genennet werden muß, wenn man ihrer gar nicht achtet. Wir ſind wachend bloͤdſichtig und haben nicht viel Gewalt uͤber uns: im Schlaf aber verlieren wir den Gebrauch unſrer Sinne, und haͤngen von uns ſelbſt nicht ab. Jn dieſer Welt ſchweben beſtaͤndig Gefahren uͤber unſer Haupt: was ſoll uns decken und wie wollen wir ihnen auswei- chen, wenn wir erſtarret und gedankenlos da liegen? Jch will mich jetzt einiger dieſer Gefahren, die der Nacht beſonders eigen ſind, erinnern und zum Gebete reizen laſſen:
Die Elemente koͤnnen mich deſto leichter verderben, je feſter ich ſchlafe. Feuer- und Waſſersnoth kan mich uͤbereilen, und eine unvorſichtige Entbloͤſſung toͤdtlich erkaͤlten. Licht und Zugluft koͤnnen meinen Augen und andern Gliedern heftige Zufaͤlle erre- gen, weil ich die erſten Angriffe davon nicht empfinde. Jnſekten und Thiere, ſonderlich in Sommernaͤchten, ſchleichen umher und fuͤrchten ſich vor dem todtenaͤhnlichen Schlaͤfer nicht, ja werden durch ſeine laͤßige und ungeſchickte Gegenwehr nur noch mehr, Schaden zu thun, gereizt. Ein Wurm, der ſich meinen Ohren naͤhert, iſt der fuͤrchterlichſte Feind. Sind Augen und Mund nicht feſt verſchloſſen, ſo iſt die Gefahr im Schlafe noch groͤſſer. Gottloſe Menſchen find am Tage gefaͤhrlich, zur Nachtzeit ſind ſie es noch weit mehr. Trunkenbolde, Unzuͤchtige, Diebe und Moͤrder tappen im finſtern umher, und habe ich nicht recht gute
Maaß-
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[287[317]/0324]
Der 18te Mai.
Ach! ſolt ich die Gefahren wiſſen,
Die jede Nacht mein Haus umziehn:
So wuͤrd ich abends zittern muͤſſen,
Und fruͤh wuͤrd ich vom Danke gluͤhn!
Mein Leben wird mit jeder Nacht,
Wie eine Beute hingebracht.
Die Gefahren der Nacht ſind ſo mancherlei, daß es
Leichtſinn und Verwegenheit genennet werden muß, wenn
man ihrer gar nicht achtet. Wir ſind wachend bloͤdſichtig und
haben nicht viel Gewalt uͤber uns: im Schlaf aber verlieren wir
den Gebrauch unſrer Sinne, und haͤngen von uns ſelbſt nicht
ab. Jn dieſer Welt ſchweben beſtaͤndig Gefahren uͤber unſer
Haupt: was ſoll uns decken und wie wollen wir ihnen auswei-
chen, wenn wir erſtarret und gedankenlos da liegen? Jch will
mich jetzt einiger dieſer Gefahren, die der Nacht beſonders eigen
ſind, erinnern und zum Gebete reizen laſſen:
Die Elemente koͤnnen mich deſto leichter verderben, je feſter
ich ſchlafe. Feuer- und Waſſersnoth kan mich uͤbereilen, und eine
unvorſichtige Entbloͤſſung toͤdtlich erkaͤlten. Licht und Zugluft
koͤnnen meinen Augen und andern Gliedern heftige Zufaͤlle erre-
gen, weil ich die erſten Angriffe davon nicht empfinde. Jnſekten
und Thiere, ſonderlich in Sommernaͤchten, ſchleichen umher und
fuͤrchten ſich vor dem todtenaͤhnlichen Schlaͤfer nicht, ja werden
durch ſeine laͤßige und ungeſchickte Gegenwehr nur noch mehr,
Schaden zu thun, gereizt. Ein Wurm, der ſich meinen Ohren
naͤhert, iſt der fuͤrchterlichſte Feind. Sind Augen und Mund
nicht feſt verſchloſſen, ſo iſt die Gefahr im Schlafe noch groͤſſer.
Gottloſe Menſchen find am Tage gefaͤhrlich, zur Nachtzeit ſind
ſie es noch weit mehr. Trunkenbolde, Unzuͤchtige, Diebe und
Moͤrder tappen im finſtern umher, und habe ich nicht recht gute
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 287[317]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/324>, abgerufen am 21.11.2024.
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