Dein Heil, mein Geist! nicht zu verscherzen, Sey wach und nöchtern zum Gebet. Ein kindlich Flehu aus reinem Herzen Hat Gott, dein Vater, nie verschmäht: Erschein in Demut oft und gern Mit Dank und Flehen vor dem Herrn!
So höre denn meine Worte, merk auf meine Rede, ver- nimm mein Schreien, mein König und mein Gott! denn ich will vor dir beten. Ohne deinen Beistand will ich es nicht wagen, mich dem Schlaf auf Gnade oder Ungnade zu überlie- fern. Ohne dich kan ich nichts thun, nichts würdig geniessen. Und dennoch habe ich auch an diesem Tage so vieles ohne Gebet empfangen und ohne Danksagung genossen? Unterlaßnes und mangelhaftes Gebet muß verantwortet werden: ich will mich demnach prüfen, wie sehr ich auch heute hierin gefehlet habe. Aber, Herr! wer kan merken, wie oft er fehle: verzeih mir auch die verborgene Fehler. Ich mache jetzt die Berechnung mei- ner heutigen Gebete: du aber durchstreich die Schuld dei- nes schläfrigen Kindes!
Wie oft habe ich heute gebetet? Jesus hat uns befolen, ohne Unterlaß zu beten, oder unser Herz immer in solcher Fas- sung zu erhalten, daß wir stets geneigt und fähig seyn mögen, mit Gott zu reden, und, so oft als möglich, würklich zu beten. An Reizung und Auffoderungen dazu hat es mir heute gewiß nicht gemangelt. Entweder fehlte mir irgend etwas Gutes, und ich war traurig; das hieß: ich solte bitten. Oder die Eigen- schaften meines Gottes strahlten mir in die Augen: da solte ich anbeten. Die Feindschaft und Armuth meiner Gefährten dieses Lebens foderte meine Fürbitten; und göttliche Wohlthaten im
geistlichen
B 4
Der 11te Januar.
Dein Heil, mein Geiſt! nicht zu verſcherzen, Sey wach und noͤchtern zum Gebet. Ein kindlich Flehu aus reinem Herzen Hat Gott, dein Vater, nie verſchmaͤht: Erſchein in Demut oft und gern Mit Dank und Flehen vor dem Herrn!
So hoͤre denn meine Worte, merk auf meine Rede, ver- nimm mein Schreien, mein Koͤnig und mein Gott! denn ich will vor dir beten. Ohne deinen Beiſtand will ich es nicht wagen, mich dem Schlaf auf Gnade oder Ungnade zu uͤberlie- fern. Ohne dich kan ich nichts thun, nichts wuͤrdig genieſſen. Und dennoch habe ich auch an dieſem Tage ſo vieles ohne Gebet empfangen und ohne Dankſagung genoſſen? Unterlaßnes und mangelhaftes Gebet muß verantwortet werden: ich will mich demnach pruͤfen, wie ſehr ich auch heute hierin gefehlet habe. Aber, Herr! wer kan merken, wie oft er fehle: verzeih mir auch die verborgene Fehler. Ich mache jetzt die Berechnung mei- ner heutigen Gebete: du aber durchſtreich die Schuld dei- nes ſchlaͤfrigen Kindes!
Wie oft habe ich heute gebetet? Jeſus hat uns befolen, ohne Unterlaß zu beten, oder unſer Herz immer in ſolcher Faſ- ſung zu erhalten, daß wir ſtets geneigt und faͤhig ſeyn moͤgen, mit Gott zu reden, und, ſo oft als moͤglich, wuͤrklich zu beten. An Reizung und Auffoderungen dazu hat es mir heute gewiß nicht gemangelt. Entweder fehlte mir irgend etwas Gutes, und ich war traurig; das hieß: ich ſolte bitten. Oder die Eigen- ſchaften meines Gottes ſtrahlten mir in die Augen: da ſolte ich anbeten. Die Feindſchaft und Armuth meiner Gefaͤhrten dieſes Lebens foderte meine Fuͤrbitten; und goͤttliche Wohlthaten im
geiſtlichen
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[23[53]/0060]
Der 11te Januar.
Dein Heil, mein Geiſt! nicht zu verſcherzen,
Sey wach und noͤchtern zum Gebet.
Ein kindlich Flehu aus reinem Herzen
Hat Gott, dein Vater, nie verſchmaͤht:
Erſchein in Demut oft und gern
Mit Dank und Flehen vor dem Herrn!
So hoͤre denn meine Worte, merk auf meine Rede, ver-
nimm mein Schreien, mein Koͤnig und mein Gott! denn
ich will vor dir beten. Ohne deinen Beiſtand will ich es nicht
wagen, mich dem Schlaf auf Gnade oder Ungnade zu uͤberlie-
fern. Ohne dich kan ich nichts thun, nichts wuͤrdig genieſſen.
Und dennoch habe ich auch an dieſem Tage ſo vieles ohne Gebet
empfangen und ohne Dankſagung genoſſen? Unterlaßnes und
mangelhaftes Gebet muß verantwortet werden: ich will mich
demnach pruͤfen, wie ſehr ich auch heute hierin gefehlet habe.
Aber, Herr! wer kan merken, wie oft er fehle: verzeih mir auch
die verborgene Fehler. Ich mache jetzt die Berechnung mei-
ner heutigen Gebete: du aber durchſtreich die Schuld dei-
nes ſchlaͤfrigen Kindes!
Wie oft habe ich heute gebetet? Jeſus hat uns befolen,
ohne Unterlaß zu beten, oder unſer Herz immer in ſolcher Faſ-
ſung zu erhalten, daß wir ſtets geneigt und faͤhig ſeyn moͤgen,
mit Gott zu reden, und, ſo oft als moͤglich, wuͤrklich zu beten.
An Reizung und Auffoderungen dazu hat es mir heute gewiß
nicht gemangelt. Entweder fehlte mir irgend etwas Gutes, und
ich war traurig; das hieß: ich ſolte bitten. Oder die Eigen-
ſchaften meines Gottes ſtrahlten mir in die Augen: da ſolte ich
anbeten. Die Feindſchaft und Armuth meiner Gefaͤhrten dieſes
Lebens foderte meine Fuͤrbitten; und goͤttliche Wohlthaten im
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 23[53]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/60>, abgerufen am 27.11.2024.
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