ein grosses Dorf, oder eine Mehrheit von benachbarten Dör- fern; demnächst aber als ein Ganzes über umgebendes Land- gebiet waltend, und in Verbindung mit diesem eine neue Organisation des Gaues, in weiterem Umfange des Landes, darstellend: Umbildung oder Neubildung eines Stammes, eines Volkes. Innerhalb der Stadt aber treten, als ihre eigenthümlichen Erzeugnisse oder Früchte, wiederum hervor: die Arbeits-Genossenschaft, Gilde oder Zunft; und die Cultgenossenschaft, Brüderschaft, die religiöse Ge- meinde: diese zugleich der letzte und höchste Ausdruck, dessen die Idee der Gemeinschaft fähig ist. So kann aber, in gleicher Weise, auch die ganze Stadt, so kann ein Dorf, ein Volk, Stamm, Geschlecht, und endlich eine Familie als besondere Art von Gilde oder von religiöser Gemeinde sich darstellen oder begriffen werden. Und vice versa: in der Idee der Familie, als dem allgemeinsten Ausdruck für die Realität von Gemeinschaft sind alle diese mannigfachen Bil- dungen enthalten und gehen daraus hervor.
§ 11.
Gemeinschaftliches Leben ist gegenseitiger Besitz und Genuss, und ist Besitz und Genuss gemeinsamer Güter. Der Wille des Besitzes und Genusses ist Wille des Schutzes und der Vertheidigung. Gemeinsame Güter -- gemeinsame Uebel; gemeinsame Freunde -- gemeinsame Feinde. Uebel und Feinde sind nicht Gegenstände des Besitzes und Genusses; nicht positiven, sondern negativen Willens, Unwillens und Hasses, also gemeinsamen Willens zur Vernichtung. Gegenstände des Wunsches, der Begierde, sind nicht etwas Feindliches, sondern befinden sich in vor- gestelltem Besitze und Genuss, wenn auch die Erlangung desselben durch feindselige Thätigkeit bedingt sein mag. Besitz ist, an und für sich, Wille der Erhaltung; und Besitz ist selber Genuss, nämlich Befriedigung und Erfüllung des Willens wie die Einathmung der atmosphärischen Luft. So ist Besitz und Antheil, welchen Menschen an einander haben. Insofern aber als Genuss sich vom Besitze unter- scheidet, durch besondere Acte des Gebrauches, so kann er allerdings durch Zerstörung bedingt sein; wie ein Thier
ein grosses Dorf, oder eine Mehrheit von benachbarten Dör- fern; demnächst aber als ein Ganzes über umgebendes Land- gebiet waltend, und in Verbindung mit diesem eine neue Organisation des Gaues, in weiterem Umfange des Landes, darstellend: Umbildung oder Neubildung eines Stammes, eines Volkes. Innerhalb der Stadt aber treten, als ihre eigenthümlichen Erzeugnisse oder Früchte, wiederum hervor: die Arbeits-Genossenschaft, Gilde oder Zunft; und die Cultgenossenschaft, Brüderschaft, die religiöse Ge- meinde: diese zugleich der letzte und höchste Ausdruck, dessen die Idee der Gemeinschaft fähig ist. So kann aber, in gleicher Weise, auch die ganze Stadt, so kann ein Dorf, ein Volk, Stamm, Geschlecht, und endlich eine Familie als besondere Art von Gilde oder von religiöser Gemeinde sich darstellen oder begriffen werden. Und vice versa: in der Idee der Familie, als dem allgemeinsten Ausdruck für die Realität von Gemeinschaft sind alle diese mannigfachen Bil- dungen enthalten und gehen daraus hervor.
§ 11.
Gemeinschaftliches Leben ist gegenseitiger Besitz und Genuss, und ist Besitz und Genuss gemeinsamer Güter. Der Wille des Besitzes und Genusses ist Wille des Schutzes und der Vertheidigung. Gemeinsame Güter — gemeinsame Uebel; gemeinsame Freunde — gemeinsame Feinde. Uebel und Feinde sind nicht Gegenstände des Besitzes und Genusses; nicht positiven, sondern negativen Willens, Unwillens und Hasses, also gemeinsamen Willens zur Vernichtung. Gegenstände des Wunsches, der Begierde, sind nicht etwas Feindliches, sondern befinden sich in vor- gestelltem Besitze und Genuss, wenn auch die Erlangung desselben durch feindselige Thätigkeit bedingt sein mag. Besitz ist, an und für sich, Wille der Erhaltung; und Besitz ist selber Genuss, nämlich Befriedigung und Erfüllung des Willens wie die Einathmung der atmosphärischen Luft. So ist Besitz und Antheil, welchen Menschen an einander haben. Insofern aber als Genuss sich vom Besitze unter- scheidet, durch besondere Acte des Gebrauches, so kann er allerdings durch Zerstörung bedingt sein; wie ein Thier
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[27/0063]
ein grosses Dorf, oder eine Mehrheit von benachbarten Dör-
fern; demnächst aber als ein Ganzes über umgebendes Land-
gebiet waltend, und in Verbindung mit diesem eine neue
Organisation des Gaues, in weiterem Umfange des Landes,
darstellend: Umbildung oder Neubildung eines Stammes,
eines Volkes. Innerhalb der Stadt aber treten, als
ihre eigenthümlichen Erzeugnisse oder Früchte, wiederum
hervor: die Arbeits-Genossenschaft, Gilde oder Zunft; und
die Cultgenossenschaft, Brüderschaft, die religiöse Ge-
meinde: diese zugleich der letzte und höchste Ausdruck,
dessen die Idee der Gemeinschaft fähig ist. So kann aber,
in gleicher Weise, auch die ganze Stadt, so kann ein Dorf,
ein Volk, Stamm, Geschlecht, und endlich eine Familie als
besondere Art von Gilde oder von religiöser Gemeinde sich
darstellen oder begriffen werden. Und vice versa: in der
Idee der Familie, als dem allgemeinsten Ausdruck für die
Realität von Gemeinschaft sind alle diese mannigfachen Bil-
dungen enthalten und gehen daraus hervor.
§ 11.
Gemeinschaftliches Leben ist gegenseitiger Besitz
und Genuss, und ist Besitz und Genuss gemeinsamer
Güter. Der Wille des Besitzes und Genusses ist Wille
des Schutzes und der Vertheidigung. Gemeinsame Güter —
gemeinsame Uebel; gemeinsame Freunde — gemeinsame
Feinde. Uebel und Feinde sind nicht Gegenstände des
Besitzes und Genusses; nicht positiven, sondern negativen
Willens, Unwillens und Hasses, also gemeinsamen Willens
zur Vernichtung. Gegenstände des Wunsches, der Begierde,
sind nicht etwas Feindliches, sondern befinden sich in vor-
gestelltem Besitze und Genuss, wenn auch die Erlangung
desselben durch feindselige Thätigkeit bedingt sein mag.
Besitz ist, an und für sich, Wille der Erhaltung; und Besitz
ist selber Genuss, nämlich Befriedigung und Erfüllung des
Willens wie die Einathmung der atmosphärischen Luft. So
ist Besitz und Antheil, welchen Menschen an einander
haben. Insofern aber als Genuss sich vom Besitze unter-
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/63>, abgerufen am 24.11.2024.
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