Gattung brauchbarer (nützlicher) Dinge bilden, um einige als nothwendig, andere als überflüssig zu bezeichnen, einige als sehr nützlich hervorzuheben, andere als sehr schädlich zu verwerfen; hier aber müsste die Menschheit als ein Ganzes gedacht werden, oder doch eine Gemeinschaft von Menschen, welche, gleich dem Individuo, lebe, und mithin Bedürfnisse habe; einig in ihrem Willen sei, mithin Nutzen und Schaden theile (da nämlich das Urtheil zugleich als subjectives vor- gestellt wird). Aber, wenn man die Gleichheit des Werthes zweier ausgetauschten Sachen behauptet, so ist keines- weges die Meinung, dass dieselben für ein Gesammtwesen in gleicher Weise nützlich oder nothwendig seien. Es müsste dann auch die Möglichkeit aufgestellt werden, dass Jemand absolut schädliche Sachen einkaufe. Aber dies wäre ungeheuerlich und utopisch. Man mag mit Grund sagen, dass das Urtheil, welches von der Begierde involvirt wird, falsch sei, dass also Mancher ein für sich schäd- liches Ding durch Tausch erwerbe. Aber offenbar ist der Branntwein, welcher dem Arbeiter schadet, für den Brennerei-Unternehmer durchaus nützlich, nicht indem er ihn trinkt, sondern indem er ihn verkauft. Damit eine Sache überhaupt als gesellschaftlicher Werth gelte, dazu ist nur erforderlich, dass sie auf der einen Seite im Ausschluss gegen Andere gehabt, auf der anderen von irgend einem Exemplare der menschlichen Gattung begehrt werde; alle ihre übrige Beschaffenheit ist schlechthin gleich- gültig. Dass sie eine gewisse Menge von Werth habe, heisst also niemals, dass sie mit so grosser Nützlichkeit angethan sei. Der Werth ist eine objective Qualität: wie die Länge für Gesicht und Getast, die Schwere für Getast und Muskel- sinn, so der Werth für den gesellschaftliche Thatsachen anfassenden und begreifenden Verstand. Derselbige sieht Sachen darauf an, und prüft sie, ob sie rasch herstellbar sind oder viele Zeit erfordern; ob sie leicht sich beschaffen lassen, oder schwere Mühe kosten, er misst ihre Wirklich- keit an ihrer Möglichkeit und setzt ihre Wahrscheinlichkeit fest. Diese ist das einzige, für den vernünftigen Tauscher subjective, für die Tauschgesellschaft absolute Kriterion des Werthes. Welches behaupten zunächst nicht mehr heisst
Gattung brauchbarer (nützlicher) Dinge bilden, um einige als nothwendig, andere als überflüssig zu bezeichnen, einige als sehr nützlich hervorzuheben, andere als sehr schädlich zu verwerfen; hier aber müsste die Menschheit als ein Ganzes gedacht werden, oder doch eine Gemeinschaft von Menschen, welche, gleich dem Individuo, lebe, und mithin Bedürfnisse habe; einig in ihrem Willen sei, mithin Nutzen und Schaden theile (da nämlich das Urtheil zugleich als subjectives vor- gestellt wird). Aber, wenn man die Gleichheit des Werthes zweier ausgetauschten Sachen behauptet, so ist keines- weges die Meinung, dass dieselben für ein Gesammtwesen in gleicher Weise nützlich oder nothwendig seien. Es müsste dann auch die Möglichkeit aufgestellt werden, dass Jemand absolut schädliche Sachen einkaufe. Aber dies wäre ungeheuerlich und utopisch. Man mag mit Grund sagen, dass das Urtheil, welches von der Begierde involvirt wird, falsch sei, dass also Mancher ein für sich schäd- liches Ding durch Tausch erwerbe. Aber offenbar ist der Branntwein, welcher dem Arbeiter schadet, für den Brennerei-Unternehmer durchaus nützlich, nicht indem er ihn trinkt, sondern indem er ihn verkauft. Damit eine Sache überhaupt als gesellschaftlicher Werth gelte, dazu ist nur erforderlich, dass sie auf der einen Seite im Ausschluss gegen Andere gehabt, auf der anderen von irgend einem Exemplare der menschlichen Gattung begehrt werde; alle ihre übrige Beschaffenheit ist schlechthin gleich- gültig. Dass sie eine gewisse Menge von Werth habe, heisst also niemals, dass sie mit so grosser Nützlichkeit angethan sei. Der Werth ist eine objective Qualität: wie die Länge für Gesicht und Getast, die Schwere für Getast und Muskel- sinn, so der Werth für den gesellschaftliche Thatsachen anfassenden und begreifenden Verstand. Derselbige sieht Sachen darauf an, und prüft sie, ob sie rasch herstellbar sind oder viele Zeit erfordern; ob sie leicht sich beschaffen lassen, oder schwere Mühe kosten, er misst ihre Wirklich- keit an ihrer Möglichkeit und setzt ihre Wahrscheinlichkeit fest. Diese ist das einzige, für den vernünftigen Tauscher subjective, für die Tauschgesellschaft absolute Kriterion des Werthes. Welches behaupten zunächst nicht mehr heisst
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[50/0086]
Gattung brauchbarer (nützlicher) Dinge bilden, um einige
als nothwendig, andere als überflüssig zu bezeichnen, einige
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zu verwerfen; hier aber müsste die Menschheit als ein Ganzes
gedacht werden, oder doch eine Gemeinschaft von Menschen,
welche, gleich dem Individuo, lebe, und mithin Bedürfnisse
habe; einig in ihrem Willen sei, mithin Nutzen und Schaden
theile (da nämlich das Urtheil zugleich als subjectives vor-
gestellt wird). Aber, wenn man die Gleichheit des Werthes
zweier ausgetauschten Sachen behauptet, so ist keines-
weges die Meinung, dass dieselben für ein Gesammtwesen
in gleicher Weise nützlich oder nothwendig seien. Es müsste
dann auch die Möglichkeit aufgestellt werden, dass Jemand
absolut schädliche Sachen einkaufe. Aber dies wäre
ungeheuerlich und utopisch. Man mag mit Grund sagen,
dass das Urtheil, welches von der Begierde involvirt
wird, falsch sei, dass also Mancher ein für sich schäd-
liches Ding durch Tausch erwerbe. Aber offenbar ist
der Branntwein, welcher dem Arbeiter schadet, für den
Brennerei-Unternehmer durchaus nützlich, nicht indem er
ihn trinkt, sondern indem er ihn verkauft. Damit eine
Sache überhaupt als gesellschaftlicher Werth gelte,
dazu ist nur erforderlich, dass sie auf der einen Seite im
Ausschluss gegen Andere gehabt, auf der anderen von
irgend einem Exemplare der menschlichen Gattung begehrt
werde; alle ihre übrige Beschaffenheit ist schlechthin gleich-
gültig. Dass sie eine gewisse Menge von Werth habe, heisst
also niemals, dass sie mit so grosser Nützlichkeit angethan
sei. Der Werth ist eine objective Qualität: wie die Länge
für Gesicht und Getast, die Schwere für Getast und Muskel-
sinn, so der Werth für den gesellschaftliche Thatsachen
anfassenden und begreifenden Verstand. Derselbige sieht
Sachen darauf an, und prüft sie, ob sie rasch herstellbar
sind oder viele Zeit erfordern; ob sie leicht sich beschaffen
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/86>, abgerufen am 21.11.2024.
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