Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Als der Pfarrer nach gesungener Messe aus der Kirche trat, fand er den herrlichsten Wintermorgen, der je ein oberennsisches Alpenthal mit Schnee und Sonnenglanz erfüllt hat. Er konnte sich von dem herrlichen Anblicke nicht trennen. Als der Platz vor der Kirche leer geworden und die Pfarrkinder dem Wirthshause oder ihren Hütten zugewandert waren, stand er noch immer vor dem Pfarrhofthore und hatte seine Freude an der winterlichen Pracht der Gegend. Das Jahr, ist wie ein Frauenzimmer; in seiner Jugend schmückt es mit Blumen den blühenden Busen, im Winter deckt es mit Silbergeweben, Perlen und Diamanten den welken Leib. So wallte auch in das Thal von den höchsten Bergen eine Silberdecke nieder, deren vergänglicher Schimmer den trostlosen Anblick fahler Wiesen und Stoppelfelder verhüllte. Kleine, aber reich mit Brillanten besäete Stücke dieses Gewebes waren über alle Dächer gebreitet. Um jedes Aestchen der Obstbäume zwischen den Häusern bog sich ein kristallener Saum, und die Zweige der immergrünenden Tannenbäume trugen flockige Lasten. Der Schullehrer schloß die Kirchenthüre und kroch wieder in sein Häuschen. Eine Schaar hungeriger Sperlinge flatterte herbei und pickte aus dem Schnee die Brosamen und Apfelreste, welche genäschige Kinder vor der Kirche hatten fallen lassen. Vor Freude zwitschernd und mit tausend Possen verzehrte das Federvolk seine Als der Pfarrer nach gesungener Messe aus der Kirche trat, fand er den herrlichsten Wintermorgen, der je ein oberennsisches Alpenthal mit Schnee und Sonnenglanz erfüllt hat. Er konnte sich von dem herrlichen Anblicke nicht trennen. Als der Platz vor der Kirche leer geworden und die Pfarrkinder dem Wirthshause oder ihren Hütten zugewandert waren, stand er noch immer vor dem Pfarrhofthore und hatte seine Freude an der winterlichen Pracht der Gegend. Das Jahr, ist wie ein Frauenzimmer; in seiner Jugend schmückt es mit Blumen den blühenden Busen, im Winter deckt es mit Silbergeweben, Perlen und Diamanten den welken Leib. So wallte auch in das Thal von den höchsten Bergen eine Silberdecke nieder, deren vergänglicher Schimmer den trostlosen Anblick fahler Wiesen und Stoppelfelder verhüllte. Kleine, aber reich mit Brillanten besäete Stücke dieses Gewebes waren über alle Dächer gebreitet. Um jedes Aestchen der Obstbäume zwischen den Häusern bog sich ein kristallener Saum, und die Zweige der immergrünenden Tannenbäume trugen flockige Lasten. Der Schullehrer schloß die Kirchenthüre und kroch wieder in sein Häuschen. Eine Schaar hungeriger Sperlinge flatterte herbei und pickte aus dem Schnee die Brosamen und Apfelreste, welche genäschige Kinder vor der Kirche hatten fallen lassen. Vor Freude zwitschernd und mit tausend Possen verzehrte das Federvolk seine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0009"/> <p>Als der Pfarrer nach gesungener Messe aus der Kirche trat, fand er den herrlichsten Wintermorgen, der je ein oberennsisches Alpenthal mit Schnee und Sonnenglanz erfüllt hat. Er konnte sich von dem herrlichen Anblicke nicht trennen. Als der Platz vor der Kirche leer geworden und die Pfarrkinder dem Wirthshause oder ihren Hütten zugewandert waren, stand er noch immer vor dem Pfarrhofthore und hatte seine Freude an der winterlichen Pracht der Gegend. Das Jahr, ist wie ein Frauenzimmer; in seiner Jugend schmückt es mit Blumen den blühenden Busen, im Winter deckt es mit Silbergeweben, Perlen und Diamanten den welken Leib.</p><lb/> <p>So wallte auch in das Thal von den höchsten Bergen eine Silberdecke nieder, deren vergänglicher Schimmer den trostlosen Anblick fahler Wiesen und Stoppelfelder verhüllte. Kleine, aber reich mit Brillanten besäete Stücke dieses Gewebes waren über alle Dächer gebreitet. Um jedes Aestchen der Obstbäume zwischen den Häusern bog sich ein kristallener Saum, und die Zweige der immergrünenden Tannenbäume trugen flockige Lasten.</p><lb/> <p>Der Schullehrer schloß die Kirchenthüre und kroch wieder in sein Häuschen. Eine Schaar hungeriger Sperlinge flatterte herbei und pickte aus dem Schnee die Brosamen und Apfelreste, welche genäschige Kinder vor der Kirche hatten fallen lassen. Vor Freude zwitschernd und mit tausend Possen verzehrte das Federvolk seine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Als der Pfarrer nach gesungener Messe aus der Kirche trat, fand er den herrlichsten Wintermorgen, der je ein oberennsisches Alpenthal mit Schnee und Sonnenglanz erfüllt hat. Er konnte sich von dem herrlichen Anblicke nicht trennen. Als der Platz vor der Kirche leer geworden und die Pfarrkinder dem Wirthshause oder ihren Hütten zugewandert waren, stand er noch immer vor dem Pfarrhofthore und hatte seine Freude an der winterlichen Pracht der Gegend. Das Jahr, ist wie ein Frauenzimmer; in seiner Jugend schmückt es mit Blumen den blühenden Busen, im Winter deckt es mit Silbergeweben, Perlen und Diamanten den welken Leib.
So wallte auch in das Thal von den höchsten Bergen eine Silberdecke nieder, deren vergänglicher Schimmer den trostlosen Anblick fahler Wiesen und Stoppelfelder verhüllte. Kleine, aber reich mit Brillanten besäete Stücke dieses Gewebes waren über alle Dächer gebreitet. Um jedes Aestchen der Obstbäume zwischen den Häusern bog sich ein kristallener Saum, und die Zweige der immergrünenden Tannenbäume trugen flockige Lasten.
Der Schullehrer schloß die Kirchenthüre und kroch wieder in sein Häuschen. Eine Schaar hungeriger Sperlinge flatterte herbei und pickte aus dem Schnee die Brosamen und Apfelreste, welche genäschige Kinder vor der Kirche hatten fallen lassen. Vor Freude zwitschernd und mit tausend Possen verzehrte das Federvolk seine
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