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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
war Anfangs von dem Auftreten der conſtitutionellen Parteien ſehr be-
friedigt, ſein Geſandter v. d. Goltz erkannte die Berechtigung der Re-
volution unbefangen an, zeigte ein offenes Auge für die gehäuften Thor-
heiten des verblendeten Hofes. Das wüſte Treiben der Emigranten wurde
in Wien und Berlin mit der gleichen Strenge verurtheilt. Erſt ſeit dem
Frühjahr 1791, ſeit König Ludwig ſeinen mißlungenen Fluchtverſuch durch
unerhörte perſönliche Demüthigungen büßen mußte, begannen die beiden
Höfe ernſtlich an eine Abwehr der revolutionären Gewaltthaten zu denken.
Die aufregende Nachricht fiel grade in den verhängnißvollen Zeitpunkt,
da Biſchoffswerder ſoeben die erſten Fäden angeknüpft hatte zur dauernden
Verbindung der beiden Mächte. Friedrich Wilhelms ritterlicher Sinn
flammte auf bei dem Gedanken die beleidigte Majeſtät in Frankreich mit
ſeinem königlichen Degen zu rächen. Einzelne gewandte Köpfe der Emi-
granten gewannen doch nach und nach geheimen Einfluß am Hofe; es
war kein Zufall, daß eben jetzt das neue unpreußiſche Weſen in der Ver-
waltung aufkam, die Abwendung von dem ſtolzen Freiſinn des großen
Königs, die kleinen Nadelſtiche gegen die Aufklärer; der mächtige Günſt-
ling führte Buch über die Demagogen und Verſchwörer in Preußen. Als
der unheilvolle Mann im Sommer 1791 zum zweiten male nach Oeſter-
reich hinüberging um die im Frühjahr eingeleitete Verſtändigung zu be-
feſtigen, fand er den Kaiſer zu Mailand in erregter Stimmung; drohende
Worte fielen: es werde Zeit das Uebel der Revolution mit der Wurzel
auszurotten, den Unruheſtiftern überall, auch in Deutſchland entgegenzu-
treten. Gleich nachher forderte Leopold durch das Rundſchreiben von
Padua die europäiſchen Mächte auf, ſich ſeines mißhandelten Schwagers
anzunehmen, jede Beleidigung der Ehre des Königs durch kräftige Maß-
regeln zu rächen, keine Verfaſſung Frankreichs anzunehmen, die nicht von
der Krone frei genehmigt ſei. Dann unterzeichnete Biſchoffswerder eigen-
mächtig, gegen ſeine Inſtructionen, den Wiener Vertrag vom 25. Juli,
wodurch beide Mächte ſich gegenſeitig ihren Beſitzſtand verbürgten und
einander Hilfe verſprachen für den Fall innerer Unruhen.

Damit war die abſchüſſige Bahn, die man in Reichenbach betreten,
bis zum Ende durchlaufen. Leopolds Klugheit hatte den Günſtling des
Königs völlig überliſtet. Preußen gab die ſtolze Selbſtändigkeit der frideri-
cianiſchen Politik auf, verpflichtete ſich, ohne jeden Entgelt dem kaiſerlichen
Hofe in ſeiner Bedrängniß Dienſte zu leiſten; denn nur Oeſterreich, nicht
Preußen war in ſeinem Beſitzſtande bedroht, in Belgien ſchwelte der
Brand des inneren Unfriedens noch fort und mochte leicht durch einen
Einfall der Franzoſen zu hellen Flammen angefacht werden. Der eigen-
mächtige Unterhändler wurde in Berlin mit Vorwürfen überhäuft; mehrere
Miniſter verwahrten ſich feierlich gegen dieſe verhängnißvolle Aenderung
des politiſchen Syſtems: die Kräfte des Staates ſorgſam zu Rathe zu
halten ſei die wirkſamſte Bekämpfung der Revolution, der Wiener Ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/138>, abgerufen am 20.02.2025.