Mitwirkung rechnen, und dieses einen Freundes Treue wankte schon längst. Mehrmals ließ Napoleon dem Dresdner Hofe erklären, er be- trachte Sachsens Theilnahme an dem Kriege als erzwungen; der ängst- liche Kurfürst wagte den offenbaren Verrath noch nicht, doch beließ er seinen Gesandten in Paris und sprach, schon bevor die Nachricht von der Jenaer Schlacht eintraf, dem französischen Kaiser seinen Dank aus für die freundschaftliche Gesinnung. Mit Sicherheit durfte Napoleon auf Kur- sachsens Abfall rechnen; der hessische Kurfürst aber blieb neutral, da seine Habgier von diesem Kriege nichts erwarten konnte, und Haugwitz ließ ihn gewähren.
In solcher Vereinsamung erhob Preußen die Waffen wider die Macht des gesammten Westeuropas. Nur eine vorsichtige Vertheidigung konnte dem un- gleichen Kampfe einen leidlichen Ausgang sichern; gestützt auf jenes Festungs- dreieck zwischen Elbe und Oder, das so oft schon die Rettung des bedrängten Staates gewesen, durfte man vielleicht hoffen die Uebermacht des Feindes so lange hinzuhalten, bis das Hilfsheer aus dem Innern Rußlands heran- kam. Aber Haugwitz wollte der mißtrauischen Welt unzweideutig beweisen, daß es ihm Ernst sei mit dem Kriege; er rieth zum Angriff, auch die fridericianischen Traditionen des Heeres sprachen für die verwegene Offen- sive. So beschloß man durch Thüringen gegen Süddeutschland vorzu- brechen und setzte für dies tollkühne Unternehmen nicht einmal die gesammte Armee in Marsch. Alle ostpreußischen und die Mehrzahl der südpreußischen Regimenter, an vierzigtausend Mann, blieben in der Heimath zurück. Wie anders wußte Napoleon für Krieg und Sieg zu rüsten. Noch im August schob er die Truppen des Rheinbundes bis an die Grenzen Thüringens heran; in den ersten Septembertagen erließ er sodann seine Marschbefehle an die große Armee, jeden Tagemarsch mit peinlicher Genauigkeit be- stimmend. Seine Spione bereisten die Straßen von Bamberg bis Berlin; eine Kriegskasse von 24,000 Fr. war ihm genug, alles Weitere ergab sich von selbst nach dem sicheren Siege.
Noch bestimmter als im vorigen Jahre bezeichnete der Imperator diesmal die Zertheilung Deutschlands, die Unabhängigkeit aller deutschen Kronen als das Ziel des Krieges; für diesen Zweck verlangte er in einem Rundschreiben die Heeresfolge der Rheinbundshöfe. Dem Senate erklärte eine kaiserliche Botschaft, wie Napoleon sich verpflichtet fühle das überfallene Sachsen vor dem Ehrgeiz eines ungerechten Nachbars zu sichern, und nach Ausbruch des Krieges verkündete ein Manifest "den Völkern Sachsens": Frankreich komme sie zu befreien. Die Franzosen, so viele in dem abge- stumpften Geschlechte sich noch um politische Fragen kümmerten, stimmten ihrem Herrscher freudig bei; galt doch die Beschützung der deutschen Klein- staaterei allgemein als die Aufgabe der nationalen Politik, seit Heinrich II. sich zuerst zum ewigen Defensor deutscher Libertät aufgeworfen hatte. Ebenso bereitwillig folgten die Fürsten des Rheinbundes dem Schirmherrn des
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Mitwirkung rechnen, und dieſes einen Freundes Treue wankte ſchon längſt. Mehrmals ließ Napoleon dem Dresdner Hofe erklären, er be- trachte Sachſens Theilnahme an dem Kriege als erzwungen; der ängſt- liche Kurfürſt wagte den offenbaren Verrath noch nicht, doch beließ er ſeinen Geſandten in Paris und ſprach, ſchon bevor die Nachricht von der Jenaer Schlacht eintraf, dem franzöſiſchen Kaiſer ſeinen Dank aus für die freundſchaftliche Geſinnung. Mit Sicherheit durfte Napoleon auf Kur- ſachſens Abfall rechnen; der heſſiſche Kurfürſt aber blieb neutral, da ſeine Habgier von dieſem Kriege nichts erwarten konnte, und Haugwitz ließ ihn gewähren.
In ſolcher Vereinſamung erhob Preußen die Waffen wider die Macht des geſammten Weſteuropas. Nur eine vorſichtige Vertheidigung konnte dem un- gleichen Kampfe einen leidlichen Ausgang ſichern; geſtützt auf jenes Feſtungs- dreieck zwiſchen Elbe und Oder, das ſo oft ſchon die Rettung des bedrängten Staates geweſen, durfte man vielleicht hoffen die Uebermacht des Feindes ſo lange hinzuhalten, bis das Hilfsheer aus dem Innern Rußlands heran- kam. Aber Haugwitz wollte der mißtrauiſchen Welt unzweideutig beweiſen, daß es ihm Ernſt ſei mit dem Kriege; er rieth zum Angriff, auch die fridericianiſchen Traditionen des Heeres ſprachen für die verwegene Offen- ſive. So beſchloß man durch Thüringen gegen Süddeutſchland vorzu- brechen und ſetzte für dies tollkühne Unternehmen nicht einmal die geſammte Armee in Marſch. Alle oſtpreußiſchen und die Mehrzahl der ſüdpreußiſchen Regimenter, an vierzigtauſend Mann, blieben in der Heimath zurück. Wie anders wußte Napoleon für Krieg und Sieg zu rüſten. Noch im Auguſt ſchob er die Truppen des Rheinbundes bis an die Grenzen Thüringens heran; in den erſten Septembertagen erließ er ſodann ſeine Marſchbefehle an die große Armee, jeden Tagemarſch mit peinlicher Genauigkeit be- ſtimmend. Seine Spione bereiſten die Straßen von Bamberg bis Berlin; eine Kriegskaſſe von 24,000 Fr. war ihm genug, alles Weitere ergab ſich von ſelbſt nach dem ſicheren Siege.
Noch beſtimmter als im vorigen Jahre bezeichnete der Imperator diesmal die Zertheilung Deutſchlands, die Unabhängigkeit aller deutſchen Kronen als das Ziel des Krieges; für dieſen Zweck verlangte er in einem Rundſchreiben die Heeresfolge der Rheinbundshöfe. Dem Senate erklärte eine kaiſerliche Botſchaft, wie Napoleon ſich verpflichtet fühle das überfallene Sachſen vor dem Ehrgeiz eines ungerechten Nachbars zu ſichern, und nach Ausbruch des Krieges verkündete ein Manifeſt „den Völkern Sachſens“: Frankreich komme ſie zu befreien. Die Franzoſen, ſo viele in dem abge- ſtumpften Geſchlechte ſich noch um politiſche Fragen kümmerten, ſtimmten ihrem Herrſcher freudig bei; galt doch die Beſchützung der deutſchen Klein- ſtaaterei allgemein als die Aufgabe der nationalen Politik, ſeit Heinrich II. ſich zuerſt zum ewigen Defenſor deutſcher Libertät aufgeworfen hatte. Ebenſo bereitwillig folgten die Fürſten des Rheinbundes dem Schirmherrn des
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Mitwirkung rechnen, und dieſes einen Freundes Treue wankte ſchon
längſt. Mehrmals ließ Napoleon dem Dresdner Hofe erklären, er be-
trachte Sachſens Theilnahme an dem Kriege als erzwungen; der ängſt-
liche Kurfürſt wagte den offenbaren Verrath noch nicht, doch beließ er
ſeinen Geſandten in Paris und ſprach, ſchon bevor die Nachricht von der
Jenaer Schlacht eintraf, dem franzöſiſchen Kaiſer ſeinen Dank aus für die
freundſchaftliche Geſinnung. Mit Sicherheit durfte Napoleon auf Kur-
ſachſens Abfall rechnen; der heſſiſche Kurfürſt aber blieb neutral, da ſeine
Habgier von dieſem Kriege nichts erwarten konnte, und Haugwitz ließ ihn
gewähren.
In ſolcher Vereinſamung erhob Preußen die Waffen wider die Macht des
geſammten Weſteuropas. Nur eine vorſichtige Vertheidigung konnte dem un-
gleichen Kampfe einen leidlichen Ausgang ſichern; geſtützt auf jenes Feſtungs-
dreieck zwiſchen Elbe und Oder, das ſo oft ſchon die Rettung des bedrängten
Staates geweſen, durfte man vielleicht hoffen die Uebermacht des Feindes
ſo lange hinzuhalten, bis das Hilfsheer aus dem Innern Rußlands heran-
kam. Aber Haugwitz wollte der mißtrauiſchen Welt unzweideutig beweiſen,
daß es ihm Ernſt ſei mit dem Kriege; er rieth zum Angriff, auch die
fridericianiſchen Traditionen des Heeres ſprachen für die verwegene Offen-
ſive. So beſchloß man durch Thüringen gegen Süddeutſchland vorzu-
brechen und ſetzte für dies tollkühne Unternehmen nicht einmal die geſammte
Armee in Marſch. Alle oſtpreußiſchen und die Mehrzahl der ſüdpreußiſchen
Regimenter, an vierzigtauſend Mann, blieben in der Heimath zurück. Wie
anders wußte Napoleon für Krieg und Sieg zu rüſten. Noch im Auguſt
ſchob er die Truppen des Rheinbundes bis an die Grenzen Thüringens
heran; in den erſten Septembertagen erließ er ſodann ſeine Marſchbefehle
an die große Armee, jeden Tagemarſch mit peinlicher Genauigkeit be-
ſtimmend. Seine Spione bereiſten die Straßen von Bamberg bis Berlin;
eine Kriegskaſſe von 24,000 Fr. war ihm genug, alles Weitere ergab ſich
von ſelbſt nach dem ſicheren Siege.
Noch beſtimmter als im vorigen Jahre bezeichnete der Imperator
diesmal die Zertheilung Deutſchlands, die Unabhängigkeit aller deutſchen
Kronen als das Ziel des Krieges; für dieſen Zweck verlangte er in einem
Rundſchreiben die Heeresfolge der Rheinbundshöfe. Dem Senate erklärte
eine kaiſerliche Botſchaft, wie Napoleon ſich verpflichtet fühle das überfallene
Sachſen vor dem Ehrgeiz eines ungerechten Nachbars zu ſichern, und nach
Ausbruch des Krieges verkündete ein Manifeſt „den Völkern Sachſens“:
Frankreich komme ſie zu befreien. Die Franzoſen, ſo viele in dem abge-
ſtumpften Geſchlechte ſich noch um politiſche Fragen kümmerten, ſtimmten
ihrem Herrſcher freudig bei; galt doch die Beſchützung der deutſchen Klein-
ſtaaterei allgemein als die Aufgabe der nationalen Politik, ſeit Heinrich II.
ſich zuerſt zum ewigen Defenſor deutſcher Libertät aufgeworfen hatte. Ebenſo
bereitwillig folgten die Fürſten des Rheinbundes dem Schirmherrn des
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/260>, abgerufen am 22.11.2024.
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